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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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vernünftig, auch wenn ihm die Rolle, die man ihm aufgezwungen hatte, nicht unbedingt gefiel. Er hatte sich Chaisons Geschichte angehört und seine politische Gefangenschaft mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Anschließend hatten sich die beiden eine halbe Stunde lang über Strategien unterhalten, und jetzt hatte der ehemalige Admiral von Slipstream den Auftrag, ein Verteidigungskonzept für diese fremde Stadt zu erarbeiten, ohne sie auch nur einmal ganz gesehen zu haben.
    Â»Jemand muss das tun«, beteuerte er Antaea. Er wusste, dass diese Erklärung hoffnungslos unzulänglich war, aber wie sollte Antaea verstehen, was ihn, den Flüchtling, trotz seiner Erschöpfung und trotz aller eigenen Sorgen und Nöte hierhergetrieben hatte? Er hatte das Schmugglerversteck in der Hoffnung verlassen, etwas über die Lage in seiner Heimat zu erfahren. Doch als er hörte, was auf der Straße gesprochen wurde, hatte er sich sofort entschieden. Corbus handelte – er reagierte nicht nur auf Stoneclouds Krise. Chaison war so lange von Kräften herumgestoßen worden, über die er keine Kontrolle hatte, dass ihn die Vorstellung, auch er könnte endlich die Freiheit haben zu handeln, anstatt immer nur zu reagieren, förmlich berauschte. Er schloss sich der Menge an, die zur Arena strömte. Er wollte kein Flüchtling mehr sein, er wollte, wenn auch nur für eine Nacht, wieder er selbst werden.
    Â»Vielleicht muss es jemand tun, aber nicht du!«, hörte er Antaea sagen. »Hast du dir überlegt, dass genau diese Menschen dich monatelang in einer winzigen Zelle eingesperrt,
gefoltert und beschimpft haben und durchaus die Absicht hatten, dich dort auch sterben zu lassen? Woher weißt du, dass sie dich nicht an die Gretel ausliefern ?«
    Er zuckte die Achseln. »Für die Gretel habe ich keinen Wert. Außerdem sind dies nicht die Menschen, die mich eingesperrt haben.« Die Bullen waren abgezogen ; er war jetzt von Zivilisten umgeben. Chaison konnte nicht leugnen, dass ihn das Spektakel in der Arena beeindruckt hatte – nicht so sehr Corbus’ Auftritt: Der Mann war ein professioneller Unterhaltungskünstler und wusste, wie man Menschenmassen bearbeitete. Die vielen Menschen selbst hatten Chaison bewogen, sich zur Verfügung zu stellen. Er hatte gelernt, die wichtigen politischen und militärischen Entscheidungen seien Sache der erblichen Führungsschicht. Doch niemandem aus dieser Schicht lag Stonecloud so sehr am Herzen wie den Menschen, die keine andere Wahl hatten, als hier zu leben. Corbus mochte sie manipuliert haben, aber sie waren ihrer Stadt aufrichtig ergeben, und letztlich hatte er sich ihrem Willen beugen müssen; vielleicht hatte die Manipulation auch nur dazu gedient, sie erkennen zu lassen, was sie wirklich wollten. Ihr leidenschaftlicher Stolz hatte Chaison in einer Weise berührt, wie es seit langer Zeit nichts in der Politik mehr vermocht hatte.
    Er hatte die normale Tagespolitik gründlich satt; vermutlich war das ein Grund, warum er die geheime Expedition gegen die Falkenformation überhaupt unternommen hatte. Er hatte damit ausdrücklich gegen die Wünsche des Piloten von Slipstream gehandelt, und Antonin Kestrel hielt ihn deshalb offenbar für einen
Verräter. Und wenn ihn Kestrel nicht belogen hatte, dachte ganz Slipstream ebenso …
    Er wollte sich mit dieser Möglichkeit nicht auseinandersetzen. »Es geht hier um ein Prinzip«, sagte er schnell. »Ich habe mich verpflichtet, nicht die Mächtigen zu unterstützen, sondern die Hilflosen zu schützen. « Ihr Blick war schwer zu deuten. »Ich weiß, das kannst du nicht verstehen«, schloss er.
    Antaea schüttelte den Kopf, fassungslos, wie er glaubte. »Die Gretel sind in einem Tag hier, vielleicht auch noch früher. Was willst du tun, um sie draußen zu halten? «
    Â»Ich habe einen Plan«, erklärte er. Und das stimmte, allerdings war es ein verzweifelter Plan, mehr ein Rückzug, um die Niederlage hinauszuschieben, als ein Erfolgskonzept. »Ich habe mich bei Corbus für dich verbürgt, und er ist so beeindruckt, dass er dir ein Kommando übertragen will. Du bist mir unterstellt, in meiner Abwesenheit wirst du in meinem Namen Entscheidungen treffen.«
    Antaea machte den Mund auf und wieder zu. Einmal mehr war ihr Gesichtsausdruck rätselhaft, aber wahrscheinlich war sie wütend; und er war nicht bereit,

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