Sehnsucht der Unschuldigen
Augen.
»Es wird wirklich schnell gehen«, versprach Josie und hob das Messer.
In einem letzten verzweifelten Versuch rollte Caroline sich zur Seite. Die Klinge durchbohrte ihr Kleid, nagelte es an den Boden. Mit einem Entsetzensschrei riß sie sich los und stürzte zur Tür. Jetzt mußte doch gleich das Messer durch die Luft pfeifen. Steckte die Klinge nicht schon zwischen ihren Schulterblättern? Aber noch rann ihr kein heißes Blut über die Haut.
Schlagartig gingen im Flur die Lampen an. Das plötzliche grelle Licht schien ihr mitten in die Augen, raubte ihr die Sicht.
»Caroline!« Tucker stürzte auf sie zu, riß sie hoch. »Ist dir auch nichts geschehen? Sag doch, daß nichts war!« Er drückte sie an sich. Hinter ihr erblickte er seine Schwester.
Josie hielt das Messer in der Hand. In ihren Augen glühte etwas Wildes. »Josie! Was in Gottes Namen hast du getan?«
Das wilde Leuchten verglomm. Tränen scho ssen in ihre Augen. »Ich konnte nicht anders. Es war stärker als ich.« Josie drehte sich um und stürzte auf die Loggia hinaus.
»Lauf ihr nach, Tucker! Laß sie nicht allein!«
Tucker sah seinen Bruder unschlüssig auf dem Treppenabsatz stehen. »Kümmere du dich um Caro!« schrie er und setzte Josie, ihren Namen unaufhörlich brüllend, nach. Einige von den Feiernden, die bereits auf dem Heimweg waren, blieben vor dem Haus stehen und blickten neugierig nach oben. Tucker fegte über die Loggia, stieß die Türen zu den anderen Schlafzimmern auf und machte überall die Lichter an. Keine Josie war zu sehen.
Er rüttelte an der Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern. Sie war verschlossen.
»Josie!« Tucker trommelte gegen das Glas. »Josie, mach sofort auf und laß mich rein! Ich brech’ die Tür sonst auf!«
Er drückte die Augen gegen das Glas und versuchte zu erkennen, was sich da drinnen abspielte. Seine Schwester war dort allein. Und sie war geisteskrank!
Tucker hämmerte wieder drauf los. Glas zersplitterte. Seine Finger bluteten bereits. »Mach die verdammte Tür auf!« Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Es war Burke. »Geh da weg, Burke! Das geht dich nichts an. Sie ist meine Schwester.«
»Tuck, Cy hat mir nichts sagen wollen, aber…«
»Hau ab, hörst du?« Tucker warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Das Bersten von Glas ging unter in einem Knall. Einem Schuß.
»Nein!« Tucker sank auf die Knie. Seine Schwester lag auf dem Ehebett ihrer Eltern. Blut spritzte über den weißen Samtbezug. »Oh, Josie, nein!« Er hatte bereits begriffen, daß es für jegliche Hoffnung zu spät war. Schluchzend setzte er sich aufs Bett. Er schloß sie in seine Arme und wiegte sie an seiner Brust.
»Ich bin froh, daß du gekommen bist.« Caroline schenkte zwei Tassen Kaffee ein und setzte sich Delia gegenüber an den Küchentisch. »Ich wollte längst mit dir sprechen, hielt es aber für besser, bis nach der Beerdigung damit zu warten.«
»Der Pfarrer sagt, daß sie jetzt Ruhe gefunden hat.«
Delia biß die Lippen aufeinander. Dann hob sie die Tasse.
»Gebe Gott, daß er recht hat. Es sind die Lebenden, die leiden, Caroline. Es wird noch einige Zeit dauern, bis Dwayne und Tucker den Schock und den Schmerz überwunden haben. Und auch die anderen. Happy, Junior und die Verwandten von Arnette und Francie.«
»Und du auch.« Caroline ergriff Delias Hand. »Du hast sie doch auch geliebt.«
»Oh ja.« Delia zwinkerte. Tränen traten ihr in die Augen. »Ich werde nie aufhören, sie zu lieben, egal, was sie verbrochen hat.
In ihr steckte eine schlimme Krankheit. Letztendlich hat sie das getan, worin sie ihre einzig mögliche Heilung sah. Wenn sie dir auch etwas getan hätte… Gott sei Dank ist es nicht mehr so weit gekommen. Tucker hätte sich nie mehr von dem Schlag erholt.
Hoffentlich wendest du dich jetzt nicht wegen seiner Schwester von ihm ab.«
»Laß das bitte Tuckers und meine Angelegenheit sein, Delia.
Aber eins möchte ich dir unbedingt sagen, weil ich finde, daß du ein Recht hast, es zu erfahren. Josie hat mir von ihrer Mutter erzählt, über die Umstände ihrer Zeugung.«
Delias Hand fing an zu zucken. »Sie wußte es?«
»Ja, sie wußte es.«
»Aber wie hat sie es erfahren?«
»Durch einen Zufall. Ich weiß, daß es für dich und Mrs.
Longstreet sehr hart gewesen sein muß, die ganze Zeit mit diesem schrecklichen Geheimnis zu leben.«
»Wir hielten es für das Beste so. Als sie an dem Tag, an dem Austin ihr das angetan hatte, heimkam, war ihr Kleid
Weitere Kostenlose Bücher