Sehnsucht unter suedlicher Sonne
einundzwanzigsten Geburtstag einen Steinway geschenkt – als Ersatz für den altersschwachen Bechstein.
Sie nahm sich vor, zwei Arabesken von Debussy zu spielen, zwei bezaubernde, verträumte Stücke, aber Bretton hatte sie herausgefordert, und so entschloss sie sich im letzten Moment, mit Chopins Revolutionsetüde , ihrem Bravourstück aus ihrer Studentenzeit, zu beginnen. Viele ihrer Kommilitonen hatten vor allem die rasanten Mollpassagen der linken Hand gefürchtet, aber sie wollte sich Bretton nicht einfach geschlagen geben. Aus irgendeinem Grund war er über sie verärgert, das war mehr als deutlich, nur warum?
Bretton stand ebenfalls auf. „Soll ich den Deckel für dich öffnen?“
„Ja, bitte.“
Sie setzte sich auf den Klavierhocker und sagte über die Schulter zu Kit: „Ich fange mit Chopins Revolutionsetüde an. Sie ist Ihnen sicher bekannt. Es war das letzte Stück, das im Sender Freies Polen gebracht wurde, bevor die Deutschen das Land besetzten. Entstanden ist es allerdings schon im Jahr 1831, als die Russen Warschau bombardierten. Chopin hat sein ganzes aufbrausendes Temperament hineingelegt. Hoffentlich gelingt es mir, das wiederzugeben.“
„Bravo, Gena!“ Kit sah begeistert zu Bretton hinüber, der sich inzwischen wieder hingesetzt hatte. Er schien sich zu amüsieren, aber seine Miene drückte noch mehr aus, für das Kit keine Erklärung fand. Fast kam es ihm so vor, als fände zwischen Bretton und Gena ein Zweikampf statt.
Genevieve spielte, wie Chopins Komposition es erforderte: leidenschaftlich und mit Feuer. Sie wollte Bretton beeindrucken und Kit neue Zuversicht geben. Als der letzte Akkord verklungen war, stand zur allgemeinen Verwunderung Hester an der Tür zum Wohnzimmer, in einem fantastischen Nachtgewand mit Bändern, Rüschen und Spitzen.
„Spielen Sie etwas anderes!“, befahl sie mit rauer Stimme. Es war nicht zu erkennen, ob sie Genevieves Vortrag bewunderte oder verurteilte.
Bretton erhob keinen Einwand. Er stand nur auf und führte seine Großtante zu einem bequemen Sessel.
„Weiter, weiter“, drängte Hester. „Es ist mir egal, was Sie wählen.“ Doch schon im nächsten Moment äußerte sie einen Wunsch. „Wie wäre es mit Widmung von Schumann. ‚Du meine Seele, du mein Herz …‘ Er hat das Lied für seine geliebte Clara geschrieben, und Liszt bearbeitete es für Klavier. Die Noten sind in der Bank, wenn Sie das Stück nicht auswendig kennen.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie mit dem überraschenden Geständnis fort: „Jemand hat mal zu mir gesagt, ich müsste mich verlieben, um Widmung richtig interpretieren zu können. Ich habe mich immer nur um vollendete Technik bemüht, verstehen Sie? Von der Liebe wusste ich nichts.“
Der Ton, in dem Hester das sagte, trieb Genevieve Tränen in die Augen. Sie kannte das Stück von Schumann. Sie hatte es vor Jahren auswendig gelernt und sah die Noten im Geist vor sich.
„Daran habe ich mich lange nicht mehr gewagt“, sagte sie leise.
„Du wirst schon keine Fehler machen“, versicherte Bretton und gab ihr damit das nötige Selbstvertrauen.
Genevieve spielte das Lied wie noch niemals zuvor. Sie hatte auf Djangala erfahren, was Liebe und Leidenschaft bedeuteten. Der Mann, dem ihr Herz gehörte, saß wenige Schritte hinter ihr. Es war ein einzigartiger Moment. Sie ließ sich ganz von der Musik gefangen nehmen, und die Gedanken an Catherines bitteren Tod beschäftigten sie in diesem Moment nicht mehr.
10. KAPITEL
Der Ausflug ins Hill-Country sollte am späten Nachmittag stattfinden, und zwar mit dem Jeep. Während Genevieve auf Bretton wartete, versuchte sie, sich über ihre Gefühle klar zu werden. Sie musste davon ausgehen, dass er inzwischen wusste, wer sie wirklich war. Liane hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, ihren Künstlernamen herauszufinden und bei der Gelegenheit auch in ihrem Familienleben herumzustöbern. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dabei eine Verbindung zu Catherine Lytton entdeckt hatte, war zum Glück gering.
Als der Geländewagen vorfuhr, eilte sie hinunter, denn sie wollte Bretton auf keinen Fall warten lassen. Er maß sie mit einem kühlen Blick und lächelte nicht. Genevieve hatte ihre schicke Sonnenbrille aufgesetzt und statt des Akubras ihren Strohhut mitgenommen. Er wirkte weiblicher und passte ihr besser.
„Steig ein“, forderte Bretton sie auf. „Wir wollen losfahren.“
Genevieve warf ihre Kopfbedeckung auf den Rücksitz und setzte sich zu Bretton nach vorn. Der Tag
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