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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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überlegen. Gesprochen wurde darüber sicher kaum.
    CW     Bei uns hießen die KZ s, wenn die Erwachsenen darüber sprachen – Konzertlager.
    JS     Wieso Konzertlager?
    CW     Meine Eltern führten ein Lebensmittelgeschäft, in dem sehr viele Menschen ein und aus gingen und miteinander redeten. Vieles sollte ich als Kind natürlich nicht mitkriegen. Es muss 1935 oder 1936 gewesen sein, dass ich das erste Mal dieses Wort hörte. Mein Vater sagte es selbst: Ein Kunde, der Mann von Soundso, der sei jetzt aus dem Konzertlager gekommen, aber die dürften ja nichts erzählen. Das merkte ich mir, weil es von einem Geheimnis umgeben war und von etwas sehr Ungutem. Man spürte es daran, wie leise die Erwachsenen darüber sprachen, sie flüsterten. Dass es KZ s gab, das wusste man.
    JS     Konntet ihr euch etwas Konkretes darunter vorstellen?
    CW     Nein, überhaupt nicht.
    GW     Das ist ganz schwer genau nachzuvollziehen. Ich weiß noch, dass wir gleich nach dem Krieg mit Freunden in Bad Frankenhausen in das Stück des Schriftstellers Günther Weisenborn Die Illegalen 5 gingen. Darin verarbeitete er seine Zeit im Widerstand gegen die Nazis. Darüber lachten wir nur.
    CW     Ja?
    GW     Wir hatten nach dem Krieg aber gute Lehrer, der eine, der Deutschlehrer, ein Sozialdemokrat, war in Buchenwald gewesen. Da wusste man dann, dass es so etwas wie das KZ Buchenwald gab. Vor dem Krieg war das kein Gesprächsthema. Es ist ganz schwer zu sagen, was man rational wusste oder was man vielleicht auch nicht wissen wollte. Das Attentat vom 20 . Juli 1944 auf Hitler sickerte zum Beispiel durch. Ich war ja Fernsprecher. Es war sehr geheimnisvoll und merkwürdig, wie sich die Offiziere verhielten. Dass sie keine Stellung nahmen. Das war so ein lufttoter Raum, das weiß ich noch ganz genau.
    CW     Also der 20 . Juli verlief bei uns so. Mein Vater war noch im Wehrbezirkskommando und bekam abends einen Anruf mit irgendeinem Codewort. Ich weiß, dass er sehr erschrocken reagierte und sagte, er müsse sofort los, es sei etwas Schlimmes passiert. Zwei Tage später wurden wir alle – Hitlerjugend, Jungmädel, BDM – auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt Landsberg an der Warthe 6 versammelt. Wir standen dort in einem Riesenkarree, und die Sturmbannführer hielten ihre Reden: Der »Führer« sei gerettet, die Vorsehung habe uns den »Führer« erhalten. Die Attentäter stellten sie als Verräter hin.
    JS     Alles andere habt ihr erst nach dem Krieg erfahren? Wie haben diese furchtbaren Enthüllungen auf euch gewirkt? Das muss doch ein Schock gewesen sein!
    CW     Es war vernichtend. Na pass mal auf, was ich zum Beispiel vorher wusste oder ahnte, ist, dass die Juden verfolgt wurden. Meine Tante Grete hatte nach damaliger Einschätzung einen jüdischen Touch – dunkle Haare, gebogene Nase. Sie war eine aparte Frau und hatte einen Mann, den sie wahnsinnig liebte. Aber der hatte eine Geliebte. Deshalb trennte sich Tante Grete von ihm. Eines Tages kam sie zu uns und sagte: »Stellt euch vor, diese Geliebte verbreitet, dass ich Jüdin bin!« Das war in den dreißiger Jahren eine Katastrophe. Ich war noch klein, vielleicht sieben Jahre alt, und bekam einen furchtbaren Schreck. Ich ging in die Küche, setzte mich auf den Kohlenkasten. Meine Mutter fragte: »Was ist denn?« Ich sagte: »Ich will keine Jüdin sein.« Da sagte meine Mutter: »Um Gottes willen, woher weiß das Kind, was eine Jüdin ist.« Ich will damit nur andeuten, es lag etwas in der Luft. Aber ich könnte heute nicht sagen, woher ich mit sieben Jahren wusste, dass es gefährlich ist, Jüdin zu sein.
    GW     Bei uns gegenüber wohnte Fräulein David, die ich sehr mochte, weil sie mir Bauklötzchen geschenkt hatte. Sie war plötzlich nicht mehr da. Darüber wurde aber nicht gesprochen. Und in Frankenhausen lief ein Ehepaar mit dem gelben Stern herum, ältere Leute, sie taten einem leid, und es war merkwürdig …
    JS     … eben das meine ich, man muss sie doch gesehen haben!
    GW     Man sprach nicht darüber.
    JS     Aber man muss doch die Läden mit der Aufschrift »Jude« gesehen haben und die Menschen mit dem Stern.
    CW     Du, Jana, ich habe niemals einen Menschen mit einem Stern gesehen.
    GW     Ich nur dieses eine Paar. Als ich einmal auf Urlaub von der Front kam, fuhren wir mit dem Bus vom Rathsfeld nach Bad Frankenhausen zum Einkaufen. Im Bus saß ein älterer Mann mit einem Judenstern. Der Bus war voll, und

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