Sei lieb und büße - Thriller
Tabea hat ihr das Handy gebracht, also hätte sie auch die SMS schreiben können. Aber warum hätte sie ihr dann die Sachen bringen sollen? Nein, das würde sie nur verdächtig machen. Damit fällt Tabea raus. Sie sollte sie anrufen und fragen, wer ihr die Sachen gegeben hat. Wahrscheinlich Céline oder Gabriele. Das würde ihnen ähnlich sehen. Und bei der Gelegenheit sollte sie sie auch gleich fragen, was es mit Laureens Verdächtigungen auf sich hat …
Das Piepen der Eieruhr reißt sie aus ihren Gedanken. Sina gießt die Nudeln ab und schüttet sie in eine Schüssel. »Ben!«
»Bin schon da.« Ohne Aufforderung holt er zwei Teller und Besteck aus dem Schrank und verteilt sie gerade auf dem Tisch, als es läutet.
»Ich geh!«, ruft er und saust davon, während Sina einen anderen Sender im Radio sucht. Keine Werbung. Keine Sprüche. Nur Musik. Am besten eine, die gute Stimmung verbreitet und sie von ihrer endlosen Grübelei erlöst.
Kurz darauf kommt Ben in die Küche zurück. Hinter ihm Max. Sinas Finger rutscht an dem alten Drehregler ab. Zünftige Blasmusik schallt aus dem Lautsprecher. Was in aller Welt will er hier?
»Max hat auch Hunger«, trällert Ben so stolz, als präsentiere er Sina ein goldenes Spielerabzeichen. »Er isst mit. Ich hab ihn gerade eingeladen.« Fröhlich hüpft Ben zum Schrank und zieht ein drittes Gedeck heraus.
»Hallo, Sina, ich hoffe, das geht in Ordnung«, sagt Max. Er wirkt verlegen. Ganz anders als am Nachmittag, als er souverän und selbstsicher den Polizeibeamten vom Zustand ihrer Mutter abgelenkt hat. Sie sollte ihm dankbar sein. Dass er Ben nicht allein in den Kremelwald hat fahren lassen. Dass er ihn nach Hause gebracht hat. Dass er ihre Geschichte mit der nötigen Prise Seriosität gewürzt hat, die es brauchte, um den Polizisten zu überzeugen. Wenn da nicht die Sache mit dem Film wäre. Wie konnte er es wagen, Tabea und sie heimlich aufzunehmen? Sie dreht am Regler, rast durch eine Kakophonie aus Akkorden und Wortfetzen und schaltet das Radio schließlich aus. Atmet tief durch. Es gibt Schlimmeres. Rik ist tot. Ihre Mutter steckt in einer Depression. Unsägliche Fotos von ihr wandern in der Schule von Hand zu Hand und pflastern die Pinnwand von BabyG und wahrscheinlich von unzähligen ihrer tollen Freunde. Fotos, die in ihrem Zimmer geschossen wurden, durchs Fenster, oder mit einer versteckten Kamera, nach der sie sich nicht zu suchen traut. Sie hat nicht die Kraft, auch noch darüber nachzudenken, ob Max richtig gehandelt hat oder nicht.
Entschieden stellt sie die dampfende Nudelschüssel auf den Tisch, daneben die Soße. »Es ist genug da. Setz dich.«
»Isst deine Mutter nicht mit?«
»Sie schläft.« Ben schaufelt sich eine riesige Portion auf den Teller. »Dann hat sie keinen Hunger.«
»Du offenbar schon«, tadelt Sina ihn und merkt, wie nervös Max’ Anwesenheit sie macht. »Das schaffst du nie.«
»Machst du das öfter?« Max trocknet den Topfdeckel so sorgfältig, als müsste er jeden Kratzer der letzten zehn Jahre herauspolieren.
»Was?« Sie schrubbt den Soßentopf. Was will Max? Er ist wohl kaum gekommen, weil er Hunger auf Nudeln mit Tomatensoße hatte. Möchte er sich vergewissern, dass alles in Ordnung ist? Dass es Ben gut geht, nachdem offenbar weder seine Mutter noch seine Schwester in der Lage sind, sich ordentlich um ihn zu kümmern? Warum ist er noch immer da? Ben ist bereits im Bett.
Endlich legt Max den Topfdeckel zur Seite. »Hier den Haushalt schmeißen. Kochen, Ben ins Bett schicken, aufräumen, Ben abholen …«
Sina presst die kratzige Seite des Schwamms auf die angebrannten Stellen und rubbelt so eifrig, als könne sie Max’ Anwesenheit damit aus der Wohnung schrubben. »Mir macht das nichts aus.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Macht es einen Unterschied, wenn ich sage, es macht mir was aus? Ändern kann ich daran eh nichts. Mama ist krank.«
»Das tut mir leid für euch.«
»Ist schon okay.« Sie spült den Topf aus. »Manchmal ist sie anstrengend, aber dann ist sie wieder die beste Mutter der Welt.«
»Ich bewundere dich trotzdem dafür. Auch wie du dich um Rik gekümmert hast.«
»Ach?«, erwidert sie spontan. »Hast du mich deshalb angelogen und heimlich gefilmt?«
Max errötet. »Das kann ich erklären.«
Viel zu fest taucht Sina den Nudeltopf in das Spülwasser. Das Wasser spritzt nach oben und hinterlässt nasse Flecken auf ihrem Shirt.
»Es ist okay, dass du sauer bist. Aber wenn du mir zuhörst, wirst du
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