Sei lieb und büße - Thriller
Foto?«
Sina läuft in die Küche. In der Anrichte durchwühlt sie die Kiste mit den Fotos. Sekunden später drückt sie dem Polizisten eines in die Hand.
»Bitte.«
»Was trägt er heute?«
»Jeans, grünes T-Shirt, weiße Sportschuhe. Und einen blauen Schulranzen mit Autos drauf.«
Plötzlich hört sie einen Schlüssel im Schloss. Die Tür geht auf.
»Ben!« Sie stürzt sich auf ihn und drückt ihn an sich.
»He, du tust mir weh!«, beschwert sich Ben und löst sich aus ihren Armen. Erst jetzt bemerkt Sina Max, der stillschweigend hinter Ben die Wohnung betreten hat.
»Ist was mit Mama?«, fragt Ben mit einem Seitenblick auf den Polizisten.
»Wir sind wegen dir hier, junger Mann.« Der Polizist zückt erneut sein Funkgerät. »An alle Einheiten. Vermisster Junge wurde soeben nach Hause gebracht.«
»Wegen miiir?« Jetzt starrt Ben Sina mit offenem Mund an. »Was hab ich denn getan?«
»Du warst nicht wie vereinbart an unserem Treffpunkt!« Sinas Stimme zittert. Jetzt nur nicht weinen. Ben ist hier, alles ist gut. Und doch, die Erleichterung, ihren kleinen Bruder zu sehen, scheint wie eine Flutwelle den Damm wegzuschwemmen, der soeben noch ihre Selbstbeherrschung gestützt hat. Verstohlen wischt sie ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
»Aber du hast mich doch zum Kremelwald bestellt!«
»Das war ich nicht! Das würde ich nie machen!«
»Hast du wohl!« Ben kramt in der Seitentasche seines Ranzens, fischt sein Handy heraus und hält es ihr unter die Nase.
»Hier. Bitte. Deine SMS.«
Sogleich streckt der Polizist fordernd seine Hand aus und liest die Nachricht.
»Kann ich dein Handy bitte auch haben?«
Sina reicht es ihm. Er tippt darauf herum, dann zeigt er ihr die gleiche Nachricht, die sie eben auf Bens Handy gelesen hat. »Und was ist das? Ein schlechter Scherz? Junge Dame, das kann sehr teuer werden. Ich hoffe für dich, dass du eine gute Erklärung dafür hast.«
»Ich habe diese SMS nicht geschrieben. Das schwöre ich! Ich hatte das Handy gar nicht, als die Nachricht verschickt wurde.«
»Ist ja interessant …«
»Ich hatte es in der Schule vergessen. Eine Freundin hat es mir vorhin vorbeigebracht. Davor hätte es jeder benutzen können.«
»Und du hast nicht daran gedacht, dein Handy zu checken, als du Ben nicht am vereinbarten Treffpunkt vorgefunden hast?«
Verlegen schüttelt Sina den Kopf. »Ich war so nervös … und ich war noch etwas müde von den Schlaftabletten.«
»Schlaftabletten?«, fragt der Polizist misstrauisch nach.
»Sina hatte gerade ein sehr traumatisches Erlebnis und hat Beruhigungsmittel verschrieben bekommen«, springt Max ihr zur Seite. »Ich glaube Sina, dass sie diese Nachricht nicht geschrieben hat. Ich denke, jemand hat sich einen Spaß mit ihr erlaubt. Jemand, der weiß, wie sehr sie sich um ihren Bruder sorgt.«
»Und Sie sind?« Als hätte er Max eben erst bemerkt, mustert der Polizist ihn abschätzend von oben bis unten.
»Max Kirk. Ich bin Bens Musiklehrer und habe Ben zum Kremelwald begleitet, weil ich mir sicher war, dass Sina ihn niemals dorthin bestellt hätte. Und bevor Sie jetzt nachfragen: Ja, ich habe hier angerufen, um nachzufragen, und: Nein, niemand hat abgehoben.«
Der Polizist notiert Max’ Namen in einem Notizbüchlein, das er aus seiner Brusttasche gezogen hat. »Dann nehme ich das so auf. Aber nächstes Mal bitte nicht gleich so hektisch. Erst alle Freunde anrufen, Handys checken, dann erst die 110 wählen.«
Sina nickt und wünscht, er möge so schnell wie möglich die Wohnung verlassen. »Versprochen.«
Als habe der Polizist Sinas Wunsch erraten, wirft er einen Abschiedsgruß in die Runde, als plötzlich ihre Mutter im Flur steht. Blass wie ein Geist, mit wirren Haaren und im Nachthemd schlurft sie auf die Gruppe zu.
»Was … was ist denn hier los?«
Irritiert blickt der Polizist zu Sina. »Ist das deine Mutter?«
»Ja.«
»Warum hast du behauptet, sie wäre nicht da?«
Ihre Mutter kommt näher. »Si-hina?« Die Stimme ist weinerlich und schwach. »Was ist das für ein Lärm?«
Sina eilt ihr entgegen. »Alles in Ordnung, Mama, komm, wir gehen zurück ins Bett.«
Hinter sich hört sie Max: »Dann wäre jetzt doch alles geklärt, Herr Wachtmeister. Kommen Sie, wir haben den gleichen Weg.«
56
23. Mai, kurz nach meiner ersten Abi-Prüfung!
Ich hab so Schiss vor heute gehabt, aber es war total locker. Der englische Text war easy-peasy und die Textfragen waren leicht zu beantworten. Jetzt hab ich vier Tage Pause, dann
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