Sei mein Moerder
Sie wahr?«
»Sie mögen ein verdammt guter Psychologe sein, sonst hätte man Sie nicht für das Gutachten beauftragt, aber diese Frage kommt zu früh.«
»Mir geht es lediglich darum, zu begreifen und zu erkennen, was Sie zu der Tat getrieben hat.«
Uwe Caffé sah aus, wie man sich einen Buchhalter vorstellte, leptosom, mit fahlen Gesichtszügen und trüben braunen Augen. Er hatte eine Frau in deren Wohnung überfallen, sie mehrfach vergewaltigt und schließlich Stück für Stück zerschnitten, eine grausame, unverständliche Tat. Danach hatte er sich um die zwei Kinder der Frau gekümmert, bei denen er nicht weniger erbarmungslos vorgegangen war. Auf die Frage, warum er es getan hatte, hatte er bei seiner Verhaftung gesagt: ‚Weil ich es konnte.’
»Überlegen Sie, wie es um meine Moral bestellt ist? Begreifen Sie doch endlich, dass der Täter nur eine Fiktion ist, die der Tat hinzugefügt wird. Was zählt, ist die Tat. Nicht die Moral.«
Mark schwieg und wartete ab. Er hatte den Termin nicht verlegen können, da die Zeit drängte. Die Staatsanwaltschaft brauchte das Gutachten, denn in wenigen Tagen begann die Gerichtsverhandlung. Er versuchte, die höllischen Schmerzen in seinem linken Fuß zu ignorieren. Liebe Güte! Es tat so schrecklich weh! Allerdings nur, wenn er lief. In Ruhestellung waren die Schmerzen kaum vorhanden.
Caffé fuhr fort: »Oscar Wilde sagte, die Moral sei die Zuflucht der Leute, die die Schönheit nicht begreifen.«
»Schönheit?«
»Allerdings ist Schönheit ein dehnbarer Begriff, Doktor.«
»Nicht unbedingt«, wagte sich Mark vor. »Es gibt inzwischen feste Wertvorstellungen, sogar Berechnungen, was als schön gilt und was nicht.«
»Abstrakte Begriffe. Lapidar positiv besetzt. Von gesellschaftlichen Konventionen geprägt. Und doch sang Nero ein Lied auf die Schönheit seiner brennenden Stadt, und irgendein Mann findet seine hässliche Frau wunderschön und macht sich in seiner Liebe lächerlich mit ihr. Für mich ist Schönheit nichts anderes, als die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis.«
»Sinnliche Erkenntnis?«
»Wenn ein Messer in Haut schneidet, in das Fleisch eintaucht und die Frau schreit, sieht sie aus, als erlebe sie einen Orgasmus. Glauben Sie mir, es gibt keinen Unterschied. Sie müssten es sehen und Sie würden mich begreifen. Schmerz und Lust gehen Hand in Hand und ich empfinde das, was man Sinnlichkeit nennen kann. Ich empfinde die Zuckungen des faden Leibes, das Aufbäumen des Körpers, den letzten, alles erkennenden Blick als schön. Ich tauche ein in diesen Blick und verschmelze mit demjenigen, der kein Opfer ist, sondern geweiht. Das Leben, Doktor Rieger, ist ein Pfuhl des Grauens, so gesehen befreite ich die Frau von einer Last, die sie tagtäglich quälte. Und ich tat ihren Kindern den Gefallen, sich damit nicht abgeben zu müssen. Ich schenkte ihnen Frieden. Ich schenkte ihnen die absolute Freiheit.«
»Aber musste der Sterbevorgang so lange dauern, Herr Caffé?«
Der Mörder lachte. »Lange? Mein Vater starb über sechs Monate hinweg an Schläuchen und Drähten, bevor man die lebenserhaltenden Systeme abstellte. Meine Schwester starb drei Jahre lang, nachdem sie von acht Männern missbraucht worden war. Sie hängte sich auf. Meine Mutter starb lange. Genau gesagt fünf Jahre lang, indem sie sich nach dem Tod ihres geliebten Mannes und der Tochter den Verstand zu Brei soff. Das, Herr Doktor, nenne ich langes Sterben.«
Mark machte sich Notizen. Seine Finger zitterten. Diese verdammten Schmerzen! Er hatte versucht, das Humpeln zu unterdrücken. Dadurch war es noch schlimmer geworden.
»Sie halten mich für wahnsinnig. Nur wer wahnsinnig ist, kann so etwas tun, glauben Sie.«
»Ja, Sie sind krank.«
»Wir reden die ganze Zeit über dehnbare, relative Begriffe. Auch Krankheit ist nicht definiert.«
»Man definiert es als Gegenteil der Gesundheit.«
»Und wann ist man gesund? Wenn man funktioniert, wie es die Gesellschaft erwartet?«
»Das wäre eine Definition.«
»Also war Jesus krank?«
Mark stutzte.
Caffé nickte und sein Finger schoss vor. »Reingefallen.«
Mark hob die Brauen. »Alles, was geheilt werden kann, ist eine Krankheit.«
»Und wenn Sie mich heilen, nehmen Sie mir die Möglichkeit zur sinnlichen Erkenntnis. Mit welchem Recht?«
»Ich möchte nicht mit Ihnen philosophieren. Jetzt nicht. Sondern vielmehr interessiert mich, ob Ihnen Ihre Tat leid tut.«
»Haben Sie mir gut zugehört? Höre ich mich an, als bereue ich? Moment
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