Sei mein Stern
nichts diese Schwingungen. Simon musste sich nur stark konzentrieren, und jeder tanzte nach seiner Pfeife.
Erst letzte Woche hatte er eine dralle Blondine, die ihn eiskalt abserviert hatte, inmitten der Fußgängerzone dazu bewegt, ihre Bluse aufzuknöpfen. Oder im Englischen Garten einen unangenehmen amerikanischen Touristen auf einen der Tische klettern lassen, wo er krähte wie ein quicklebendiger Hahn, bevor er sich kopfüber in einen kleinen Teich stürzte. Bei dem Gedanken an das helle Entsetzen der Biergartenbesucher überkam Simon einmal mehr das Bedürfnis, laut zu lachen.
Gott, wenn seine Eltern von diesen Kindereien Wind bekämen! Sie würden ihn heftigst in seine Schranken verweisen. Momentan jedoch erweckten die Umstände den Eindruck, er könnte seine Fähigkeiten ausnahmsweise einmal sinnvoll einsetzen.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, erkundigte er sich.
„Jana, Jana Iwanow.“
„Russin?“
Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich bin in Hamburg geboren. Mein Vater ist Russe.“
„Gut, Jana. Ich darf Sie doch Jana nennen, oder?“
Sie nickte.
„Hören Sie, Terrorismus ist in meinen Augen das Abscheulichste, was jemals das Licht der Welt erblickt hat. Und auch, wenn ich noch nie persönlich damit konfrontiert wurde, verteufle ich jeden einzelnen dieser Attentäter, genau wie Kriege oder Atombomben. Aber Sie dürfen sich von diesen negativen Stimmungen nicht unterkriegen lassen. Verdrängen Sie einfach all diese zermürbenden Gedanken für immer aus ihrem Kopf. Es gibt doch so viel Schönes auf der Welt, oder?“ Er schaute ihr unendlich tief in die Augen, als wolle er sie hypnotisieren, und nahm ihren Blick gefangen.
In ihren Pupillen blitzte ein Fünkchen Erkenntnis auf. Sie schien zu registrieren, dass eine fremde Macht drauf und dran war, von ihrem Gehirn Besitz zu ergreifen.
Erstaunlich! Das war ihm bisher noch nicht untergekommen.
Die junge Frau musste über einen eisernen Willen verfügen, denn die meisten Menschen realisierten nicht einmal, dass gerade jemand versuchte, ihre Weltanschauung auf den Kopf zu stellen.
Urplötzlich wurden Janas Gesichtszüge weicher, der Griff ihrer Hände lockerer.
Er rückte eine Nuance näher an sie heran. „Was mögen Sie, Jana? Was erfüllt Sie mit Freude?“
Sie zuckte zusammen und bedachte ihn mit argwöhnischem Blick. Wow! Was für eine Herausforderung! Es war wirklich keine einfache Übung, die Kleine zu knacken. „Keine Angst, ich werde Ihnen nicht zu nahe treten. Sagen Sie mir doch, was Sie glücklich macht. Und dann schieben Sie den Terrorismus in die hinterste Ecke Ihres Kopfes und stellen alles vorne an, was Sie lieben. Also?“
Sie fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen und brachte ihn einen Moment lang aus dem Konzept. Er blinzelte und unterbrach den Blickkontakt. Seine Augen schweiften zu ihrem Mund ab. Gott! Sie hatte die sinnlichsten Lippen, die er je gesehen hatte.
Prompt entglitt sie ihm, entzog sich seines Einflusses. Verwirrung machte sich auf ihrem Gesicht breit. Zärtlich strich er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange, und als sie ihm voller Überraschung in die Augen sah, hatte er sie wieder eingefangen.
„Ich liebe Musik“, flüsterte sie schließlich, „und das Tanzen. Als Kind habe ich tagaus, tagein vor mich hingesummt und meine Eltern damit häufig in den Wahnsinn getrieben.“ Sie kicherte leise. „Ich habe Ballettunterricht genommen und später in mehreren Vereinen getanzt, Standard und Latein. Eine Zeit lang sogar profimäßig. Und immer wenn ich Musik höre, überkommt mich das unbändige Verlangen, mich im Takt zu wiegen.“ Ein glückliches Lächeln zuckte über ihr Gesicht und ließ sie schlichtweg zum Anbeißen aussehen.
Simon schluckte, da seine Kehle mit einem Schlag staubtrocken war. Mit Müh und Not widerstand er dem Drang, sich ein Stück nach vorne zu beugen und Janas feucht schimmernde Lippen zu küssen. Es war allerhöchste Zeit, den geordneten Rückzug anzutreten, um sich vor einer Dummheit zu bewahren. Seine Schwägerin hätte sicherlich null Verständnis dafür, wenn er sich über einen ihrer weiblichen Hotelgäste hermachte. „So, Jana. Jetzt behalten Sie einfach die Musik und das Tanzen im Gedächtnis und schlafen Sie wieder ein.“
Gehorsam kuschelte sie sich unter die Decke und ließ den Kopf auf das Kissen sinken. Er beugte sich nach vorne und hauchte ihr ein sanftes Küsschen auf die Wange. Dann löschte er das Licht. Und während er hinaushuschte, wirbelte
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