Sei mein Stern
Jana im Tiefschlaf über die Bretter, die die Welt bedeuteten.
Als sie am Morgen die Augen aufschlug, fühlte Jana sich ausgeruht wie selten zuvor. Die Gespenster der Nacht gehörten der Vergangenheit an, und ein glückliches Lächeln zuckte um ihre Lippen, als sie an ihren Traum zurückdachte. Als Mitglied einer irischen Riverdance-Group hatte sie den Broadway erobert und die Massen bewegt. Und während sie vergnügt aus dem Bett hüpfte, hatte sie das Stampfen der Absätze noch so in den Ohren, dass sie dem heftigen Bedürfnis widerstehen musste, auf der Stelle einen wilden Stepptanz hinzulegen. Leise summend schwebte sie ins Bad, drehte sich immer wieder im Takt der imaginären Musik und gluckste glücklich vor sich hin. In diesem Moment kam ihr der nächtliche Besucher in den Sinn.
Hatte allen Ernstes ein Mann ihr Zimmer betreten, oder war er ebenfalls ein Traumgebilde? Im Grunde genommen war er viel zu schön gewesen, um real zu sein. Hatte sie sich nur eingebildet, dass seine Lippen sanft wie eine Frühlingsbrise über ihre Wange gestreift waren? Sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Sie konnte ja noch nicht einmal nachvollziehen, was genau sich abgespielt hatte.
Mit dem Bericht über Tims qualvollen Tod hatte sie Simons Vertrauen gewinnen wollen. Doch als er dann so freimütig die Tragödie seiner verstorbenen Schwägerin und seines Bruders zum Besten gegeben hatte, war sie ein wenig ins Melancholische abgedriftet. Eine dicke Träne war ihr die Wange herabgekullert, obwohl sie den Trick, auf Kommando zu heulen, nicht wissentlich eingesetzt hatte.
Aber wieso war dann plötzlich das Thema Tanz und Musik aufgekommen? Vielleicht weil es ihr momentan so oft durch den Kopf geisterte? Denn dummerweise hatte sie ihr geschätztes Hobby aufgrund der zeitraubenden Tätigkeit beim Geheimdienst fast gänzlich aus den Augen verloren. Kein Tanzpartner der Welt brachte für ihre ständigen Abwesenheiten Verständnis auf. So hatte sie die Tanzschuhe gezwungenermaßen an den Nagel gehängt.
Doch andauernd ertappte sie sich in letzter Zeit dabei, wie sie durch die Wohnung twistete. Und während sie sich im Geiste einen Tanzpartner zurechtlegte, tauchten ganz unvermittelt wieder Bilder von Simon in ihrer Vorstellung auf. Ob er ein guter Tänzer war? Nun, eine gewisse Passion für Sport musste er an den Tag legen, denn so einen Körper bekam man nicht geschenkt.
Auf jeden Fall hatte der attraktive, junge Mann nicht den Eindruck vermittelt, er wäre ein durchgeknallter Computerhacker. Ihn würde sie guten Gewissens von der Liste der Verdächtigen streichen können.
Mit einer passwortgeschützten CD-ROM in der Hand schwebte sie Minuten später beschwingten Schrittes aus dem Zimmer.
„Hallo, guten Morgen, Frau Iwanow!“, wurde sie an der Rezeption gut gelaunt von Valerie Graf begrüßt. Erneut war die Hotelbesitzerin in ein bauchfreies T-Shirt und Jeans gehüllt. Allem Anschein nach ihr Markenzeichen. „Haben Sie gut geschlafen?“
„Oh, ja. Himmlisch. Die Betten sind einfach grandios … und diese Ruhe“, schwärmte Jana, denn abgesehen von dem Albtraum konnte sie sich wirklich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal so tief und fest geschlummert hatte. „Wissen Sie, ich wohne in Berlin an einer befahrenen Schnellstraße, da kommt man selten in einen solchen Genuss.“ Sie lehnte sich auf den Tresen. „Aber, Frau Graf, ich habe da ein kleines Problem und hoffe sehr, dass Sie mir aus der Patsche helfen können.“ Sie schob Valerie die CD zu. „Mein Verleger hat mir eine CD-ROM zur Verfügung gestellt, mit einer Datei, die es bis heute Nachmittag zu überarbeiten gilt. Dummerweise ist sie passwortgeschützt, und mein Boss sitzt gerade im Flieger nach Tokio.“
Sie zuckte theatralisch mit den Schultern. „Ich bin mit meinem Latein am Ende. Sie sind meine letzte Rettung. Sind Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter in IT bewandert? Vielleicht ein Hotelgast?“
Valerie griff nach der CD und starrte sie an, als wisse das leblose Teil aus Kunststoff die Antwort. „Hmm, ich bin da leider keine große Hilfe und meine Angestellten sicherlich auch nicht. Mein Mann eventuell …?“ Ein Strahlen nahm gänzlich unerwartet von ihrem Gesicht Besitz. „Aber nein! Ich Dummchen!“ Sie schlug sich theatralisch mit der Hand gegen die Stirn. „Wozu hat man denn einen waschechten Computerfreak im Haus?“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, griff sie nach dem Telefon.
Jana sah sie ungläubig an. Es wollte ihr nicht in
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