Sei schlau, stell dich dumm: Biographie
nämlich, wenn man sie mit Nichtachtung strafte. Das ist bis heute so. Dann setzt sie sich in die Ecke und schmollt – manchmal drückt sie auch noch ein bisschen auf die Tränendüse und heult eine Runde. Wenn man auch dann nicht reagiert, dauert es nicht lange und sie steht plötzlich wieder vor einem, als ob nie was gewesen ist.
Dass Dani heute so ist, wie sie ist, hat, glaube ich zumindest, mit einem Diktat in der dritten Klasse zu tun. Daran kann ich mich noch ganz genau erinnern. Es hieß »Das rote Fahrrad«. Keine Ahnung, was für eine Zensur sie dafür bekommen hat, aber es wurde ihr Lebensmotto.
Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das sich nichts mehr wünscht als ein rotes Fahrrad. Als sie es endlich bekommt, fährt sie damit stolz durchs Dorf und trifft eine Freundin. Die sagt ihr, dass sie das Rad lieber blau streichen sollte. Gesagt, getan, jetzt also Blau. Als sie die nächste Freundin trifft, meint die, dass Grün schön wäre. Also wird wieder umlackiert. Die Geschichte geht eine ganze Weile so weiter – Gelb, Rosa, Weiß. Irgendwann sieht das Fahrrad kackbraun aus und das Mädchen ist ganz traurig. Da schmirgelt die Mutter das Fahrrad ab, streicht es wieder rot und erklärt ihrer Tochter: Sei stolz auf das, was du hast. Lass dir nie von anderen reinreden. Gehe immer erhobenen Hauptes, auch wenn andere Menschen mit dem Finger auf dich zeigen. Und das macht meine Dani bis heute!
Obwohl, als sie in der Schule gehänselt wurde, da hat sie mal angefangen, den Unterricht zu schwänzen. Da konnte ich ihr aber auch nicht böse sein. Erst nannten ihre Mitschüler sie »Froschauge«, und dann haben sie sie veralbert, als sie ein Langzeit- EKG hatte. Dani hatte ja mal solche Herzrhythmusstörungen, und wir waren echt in Sorge. Als sie dann mit dem Gerät in die Schule kam, haben die Klassenkameraden gefragt, warum sie denn ihren Kassettenrecorder mitbringen dürfe, und ob sie sich für was Besseres halte. Da war sie echt traurig und hat eben geschwänzt. Da kam dann ein blauer Brief zu uns nach Hause. Aber natürlich konnte ich deshalb nicht mit ihr schimpfen.
Auch sonst hatte ich wenig Anlass zu Meckereien. Im Gegensatz zu ihrer Schwester. Dani und Jennifer sind total verschieden, also wirklich das komplette Gegenteil. Dani war immer pünktlich, mochte keinen Alkohol und keine Partys – daran hat sich bis heute glücklicherweise nichts geändert. Jennifer dagegen ist grundsätzlich unpünktlich, trinkt gern mal einen – auch einen zu viel – und lässt keine einzige Party aus.
Und Tobias, mein Ältester, ist wiederum ganz anders als die beiden Mädchen. Wenn die beiden Damen sich um einen Lolli gestritten haben, und das haben sie oft, war garantiert er der Gewinner. Da haben die beiden immer schön in die Röhre geguckt. Aber wie heißt es doch so schön: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.
Dafür hat er aber auch immer den Kopf hingehalten, um seine Schwestern in Schutz zu nehmen. Wenn irgendetwas im Haus kaputtgegangen ist oder Dani vor lauter Wut eine Vase an die Wand gedeppert hat, hat er immer gesagt: Ich war’s. Erst Jahre später haben sie mir dann mal erzählt, wer eigentlich wirklich was kaputtgemacht hat. Aber ist doch für eine Mutter schön zu wissen, dass die drei Kinder, wenn’s drauf ankommt, zusammenhalten wie die Musketiere.
Die Dani ist ein ganz großes Träumerle. Das stand auch in jedem ihrer Zeugnisse. So ein bisschen Hans-guck-in-die-Luft und in den Tag hineinträumen. Die hatte im Kindergarten sogar »Puppenhaus-Verbot«. Ihre Kindergärtnerin, die Frau Oster, hatte ihr das Spielen in der Ecke mit den Puppen untersagt, weil sie sich überhaupt nicht in die Gruppe einfügen wollte. Am liebsten saß sie alleine vor dem großen Haus und machte ein kleines Kaffeekränzchen mit Puppe, Teddy und Co. Da war sie ganz ihrer eigenen Welt.
Sie konnte aber auch extrem dickköpfig sein. Wenn die sich was in den Kopf gesetzt hatte, war da auch nichts mehr dran zu machen. Die war keine sechzehn Jahre alt, als sie eines Tages ihre Sachen packte, sich ein Taxi bestellte und mir sagte: So, Mama, ich ziehe jetzt zu meiner Freundin Melanie und komme erst wieder, wenn dein Mann hier weg ist. Und schon krachte die Tür ins Schloss. Da stehst du als Mutter erst mal blöd da. Sie kam mit meinem dritten Ehemann, dem Perser, so überhaupt nicht zurecht. Das wusste ich auch, aber wenn ich mir das heute so überlege, weiß ich, dass Dani viel schneller als ich erkannt hatte, dass
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