Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
und frustrierte Lehrer und moralfreie Manager und geschwätzige Politiker – aber auch wir Journalisten, die sich übers dumme Volk und seine Helden lustig hermachten und dadurch ungewollt viele unbedarfte Deppen zu Stars hochgeschrieben haben.
Allen vereinfachenden Schlagzeilen zum Trotz gibt es also keine Generation von Doofen, ebenso wenig, wie es einst eine Generation der besonders klugen 68er gab. Es sind immer nur wenige, die das Denken oder Nicht-Denken und den Stil oder die Unsitten von vielen prägen. Ende der Sechzigerjahre im vergangenen Jahrhundert begannen die überfälligen Denkprozesse mit den Demonstrationen von Studenten gegen den tausendjährigen Muff an deutschen Universitäten, gegen braunes Gesindel im Amt. Daraus wuchsen dann Proteste von vielen Tausenden auf den Straßen mit den bekannten Folgen.
In Frankreich, wo Revolution allerdings zur Tradition gehört und im kollektiven Bewusstsein der Nation im Gegensatz zur deutschen positiv verankert ist, brannten im Mai 1968 die Barrikaden. In England blieb es britisch ruhig, weil die Klassengesellschaft ungerührt die Parolen der Klassenkämpfer über sich ergehen ließ, sowohl die Ober- als auch die Unterklasse. In den Vereinigten Staaten vereinten sich in leidenschaftlichem Protest gegen den Vietnamkrieg Jung und Alt, weil die einen nicht sterben und die anderen nicht ihre Söhne verlieren wollten.Von diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen wurde weltweit berichtet. Die gesendeten
Bilder beflügelten Anti-Kriegs-Demonstranten im fernen Europa.
Da es um kritisches Bewusstsein ging, blieben die Protestierenden in Deutschland auch innerhalb ihrer Generation eine lautstarke radikale Minderheit. Die Mehrheit der Jungen war zufrieden mit einem kleinen Glück, so wie es ihnen ihre Eltern vorgelebt hatten, aber sie waren letztlich gemeinsam mit denen irgendwann doch dazu bereit, mehr Demokratie zu wagen.Angesichts erreichter Wohlstandsziele schien gegen ein wenig undeutsche Leidenschaft prinzipiell nichts einzuwenden zu sein. Sie wählten 1969 Willy Brandt zum Bundeskanzler.
Im anderen Teil Deutschlands gab es auch 68er, deren mutiger Protest gegen die steinernen Verhältnisse sich jedoch an einem speziellen Datum festmachen ließ, dem 21. August 1968, jenem Tag, an dem die Truppen des Warschauer Paktes den Prager Frühling erstickten. Bevor aus dem Protest von wenigen Mutigen im Osten eine die Verkrustungen der Gesellschaft zerbrechende Bewegung werden konnte wie die im Westen, brachen ihnen die Machthaber das Rückgrat und sperrten sie ein.
Nur Rockmusik übertönte alle Mauern, wurde zur Internationale von Jugendlichen über alle nationalen Grenzen hinweg und zur Mutter aller Jugendbewegungen. Rock’n’ Roll als vielfältige Hymne einer Generation verstanden weltweit alle.
Auch die Einfaltspinsel.
Nach 1969 gingen im Westen die Gleichaltrigen, die nur kraft und dank ihres Alters zu einer Generation gehörten, wieder getrennte Wege. Die einen begannen den langen Marsch durch die Institutionen, die anderen richteten sich in ihren Verhältnissen ein.Wie groß das Potenzial an Blöden schon damals war, fiel nicht weiter auf, weil sie nicht als geschlossene
Gruppe auftraten und sich nicht als kommende Kraft der Zukunft verstanden.
Es gibt heute zwar mehr Verblödete denn je, aber auch das ist einfach zu erklären. Mittlerweise ist eine ganze Generation von Deutschen – hier stimmt endlich mal der Begriff »Generation«! – aufgewachsen mit Tutti-Frutti -TV. Das konnte nicht ohne Folgen für denVerstand bleiben. Im Westen waren es seit Gründung des Privatfernsehens 25 Jahre, im Osten, wo RTL und Sat.1 bis zum Untergang der DDR nicht empfangen werden konnten, nur 20. Inzwischen ist zusammengewachsen, was zusammengehört, wie an den Quoten bestimmter Sendungen deutlich wurde. Doch ebenso viele tapfere Widerständler haben, im Westen wie im Osten, alle Attacken der Blödmacher abgewehrt und sich jenseits der Seichtgebiete in bewässerten Oasen behauptet.Auch unter den Nicht-Blöden ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Die neue deutsche Grenze, an der nur verbal geschossen wird, verläuft zwischen Wissenden und Unwissenden.
Letztere müssten mit allen Mitteln aus den Fesseln der Blödmacher befreit werden. Denn auch sie werden für die Zukunft der Nation gebraucht.
Aber wie soll das gelingen?
Weil heute weder Weise noch Götter helfen, weil verbretterte Köpfe mit Argumenten nicht zu löchern sind, weil auch das Recht auf Dummheit zu
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