Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Seichtigkeit des Seins. Die Unart älterer Mitbürger, einer ihnen fremd vorkommenden Gruppe von eindeutig Jüngeren das Etikett »Generation« aufzukleben, um dann als Experten für Jugendprobleme in Talkshows eingeladen zu werden, ist gleichfalls symptomatisch für die allgemeine Verunsicherung und gemeingefährliche Verflachung. Dass junge Blöde auffälliger doof sind als alte, liegt nur daran, dass sie sich lautstark
äußern – Boah, Ey, Super, Geil -, während die Alten allenfalls laut mitsingen.
Bei aufkeimender Verzweiflung während der Forschungsreisen auf der Suche nach den Wurzeln des Übels hilft allerdings kein noch so starkes Serum. Gegen Depressionen schützt entweder Zynismus oder aber Gelassenheit. Was nicht mehr zu ändern ist, muss offenbar als Bodensatz der Gesellschaft akzeptiert werden. Zudem ist ja niemand verpflichtet, sich auf Niveau null aufzuhalten. Es lassen sich deshalb die meisten Begegnungen mit Blöden dadurch vermeiden, dass man die Stätten ihrer Vergnügen meidet; es lassen sich traumatische Erfahrungen verhindern, indem man bestimmte Fernsehprogramme nicht einschaltet, bestimmte Bücher, bestimmte Zeitschriften und Zeitungen ignoriert, bestimmte Veranstaltungen und Partys meidet.
Hilfreicher ist es, um wenigstens die Schieflage der Nation zu justieren, die Blöden nicht als gottgegeben zu akzeptieren oder schweigend zu verachten, sondern sie lächerlich zu machen. Was nur dann funktioniert, wenn Blödmacher und Blöde ernst genommen werden in ihrer vielfältig sich zeigenden Einfalt. Sinnvoller ist es, in heiterer Gelassenheit jeden Erfolg der Dummheit zwar ehrlich als verlorene Schlacht zu registrieren, aber unverdrossen an einen noch möglichen Gesamtsieg zu glauben.
Früher hieß das Weisheit.
Eine gewisse Schar von Blöden gab es immer schon, und die gab es auch in jedem Land. Doch die Blöden der anderen Nationen berühren uns nicht, solange wir ihnen nicht am Strand über den Weg laufen müssen oder sie mit ihren Handtüchern unsere Liegestühle am Pool besetzen. Die eigenen Blöden sind uns gut genug. Es ist einfacher als früher, sie aus der Nähe zu beschreiben, weil ihre Dummheit nicht mehr im Verborgenen blüht. Um ihre Wünsche zu wecken
und ihre Instinkte zu befriedigen, sind Fernsehanstalten gegründet, Zeitschriften entwickelt, Bücher gedruckt, Helden erfunden worden. Die Prinzipien der Marktwirtschaft haben sich bei der Eroberung auch dieser Klientel bewährt.Wo es eine Nachfrage gibt, die in diesem Fall einem dringenden Bedürfnis entsprach, wäre es schlicht blöde, keine entsprechenden Angebote zu entwickeln.
Das geschah in vier Phasen einer wohlüberlegten Strategie: Zielgruppe erkannt. Zielgruppe analysiert. Zielgruppe eingekreist. Zielgruppe gefangen. Strategen in Sendern und Verlagen, die erfolgreichen Gärtner der Seichtgebiete, haben sich deshalb im Gegensatz zu Bad Bankern ihre Boni verdient. Weil sie clever genug waren, früh die Möglichkeiten zu erkennen, die sich Investoren boten, denen so etwas wie Schamgefühl, Moral,Anstand fremd war. Blöde sind fruchtbar und wachsen nach. Der TV-Markt, bei dem hohe Renditen garantiert sind, weil er sich auf niedrigem Niveau selbst stets neu erfindet, ist deshalb ein Wachstumsmarkt.
Das befreit die Marktbeschicker aber nicht von ihrer Verantwortung. Mit Hinweis auf die geistigen Bedürfnisse der Unterschicht, zu der – was Verstand und Geschmack und Stil betrifft – auch viele gehören, die sich aufgrund von Einkommen, Einfluss und Einbildung zur Oberschicht zählen, entschuldigen sie sich zwar.Weil es aber einen solchen Rabauken-, Rummel- und Rammelplatz nun mal gebe, wäre es schön blöd, ihn nicht mit eigenen Produkten zu beschicken und dort nicht selbst gezüchtete Sumpfblüten anzubieten, bevor andere die ihren auf die Plätze, fertig, los schicken.
Dennoch wird ihnen keine Vergebung zuteil. Denn sie wissen, was sie tun. Das können sie täglich an den Quoten ihrer TV-Formate ablesen oder an den verkauften Auflagen von Produkten bemessen, denen selbst die karge Bezeichnung »Druckerzeugnisse« noch schmeichelt. Früher galt die
stillschweigende Übereinkunft, dass über Sex und Geld öffentlich nicht geredet wird. Basta. Heute ist die offenhosige, die Beine breitmachende Bereitschaft, Privates öffentlich zu machen, die Voraussetzung dafür, um überhaupt bei gewissen Talkshows eingeladen zu werden. Mitschuldig am Zustand einer Gesellschaft diesseits aller Tabus sind gleichgültige Eltern
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