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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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es war eine Freude, ihm und seinem Vater zuzusehen. Im Spiel waren
sie zwei Schweine – sie schnüffelten herum, wühlten im Boden, warfen ihre starken Körper gegeneinander. Beide starrten sie vor Dreck, und beide genossen die Gesellschaft des anderen. Dem älteren Sohn genügte es, bei den Frauen zu sitzen. Wegen meines Interesses an dem Jungen achtete Schneerose nun auch mehr auf ihn. Er lächelte sie bereitwillig an. In seinem Gesichtsausdruck erkannte ich das Gesicht seiner Mutter in diesem Alter wieder – lieb, arglos, intelligent. Schneerose erwiderte seinen Blick – zwar nicht mit wahrer Mutterliebe, aber ihr schien das, was sie sah, nun doch besser zu gefallen, als sie zunächst angenommen hatte.
    Als ich ihm eines Tages ein Lied beibrachte, sagte sie: »Er sollte nicht unsere Frauenlieder singen. Wir haben als Mädchen doch Gedichte gelernt...«
    »Von deiner Mutter...«
    »Und bestimmt hast du im Haus deiner Mutter noch mehr gelernt.«
    »Ja, das stimmt.«
    Wir waren beide ganz aufgeregt und rasselten die Titel der Gedichte, die wir kannten, herunter.
    Schneerose ergriff die Hand ihres Sohnes. »Wir wollen ihm alles beibringen, was wir können, damit ein gebildeter Mann aus ihm wird.«
    Viel würde das nicht sein, da wir beide nie Unterricht bekommen hatten, aber dieser Junge war wie ein getrockneter Pilz, den man in kochendes Wasser wirft. Er sog alles auf, was wir ihm gaben. Bald konnte er das Gedicht aus der Tang-Dynastie auswendig, das Schneerose und ich als Mädchen so geliebt hatten, sowie ganze Passagen aus dem klassischen Buch für Jungen, die ich mir gemerkt hatte, um meinem Sohn beim Lernen zu helfen. Zum ersten Mal sah ich echten Stolz in Schneeroses Miene. Der Rest der Familie empfand anders, aber endlich duckte sich Schneerose einmal nicht weg und gab auch den Aufforderungen
aufzuhören, nicht nach. Sie hatte sich an das kleine Mädchen erinnert, das immer den Vorhang in der Sänfte zurückzog, damit wir hinausspitzen konnten.
    Diese Zeit – so kalt und unbequem, so voller Furcht und Not sie auch war – war in einer Hinsicht dennoch wunderbar: Schneerose war auf eine Art und Weise glücklich, wie ich sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Schwanger und mit so wenig zu essen, schien sie von innen heraus zu strahlen, als wäre sie von einer Öllampe beleuchtet. Sie genoss die Gesellschaft der drei Schwurschwestern aus Jintian und war froh, nicht allein mit ihrer Schwiegermutter eingeschlossen zu sein. Wenn Schneerose mit diesen Frauen zusammensaß, sang sie Lieder, die ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Hier draußen, abseits von ihrem dunklen und tristen kleinen Haus, war ihr Pferdegeist frei.
    Doch dann, nachdem wir zehn Wochen dort oben gewesen waren, rollte sich Schneeroses jüngster Sohn in einer eiskalten Nacht neben dem Feuer zum Schlafen zusammen und wachte nie wieder auf. Ich weiß nicht, was ihn umbrachte – Krankheit, Hunger oder die Kälte -, aber im frühen Licht des Morgens sahen wir, dass sein Körper von Frost überzogen und sein Gesicht eisblau war. Schneeroses Totenklage hallte durch die Berge, doch dem Metzger ging es am meisten zu Herzen. Er hielt den Jungen in den Armen, Tränen rannen ihm über das Gesicht und zogen feuchte Spuren durch den Schmutz der vielen Wochen, der sich in sein Gesicht eingegraben hatte. Nichts konnte ihn trösten. Er wollte den Jungen nicht loslassen. Er hatte keine Ohren für seine Frau und nicht einmal für seine Mutter. Er vergrub das Gesicht im Körper seines Sohnes und versuchte, ihre flehentlichen Bitten abzuwehren. Sogar als sich die Bauern in unserer Gruppe um ihn herum setzten, ihn von unseren Blicken abschirmten und ihn leise flüsternd trösteten, half es nichts. Immer wieder hob er das Gesicht und rief in den Himmel:
»Warum habe ich meinen wertvollen Sohn verloren?« Die verzweifelte Frage des Metzgers tauchte in vielen Nushu-Geschichten und Liedern auf. Ich musterte die Gesichter der anderen Frauen um das Feuer und sah darin die unausgesprochene Frage: Konnte ein Mann – konnte dieser Metzger – die gleiche Verzweiflung und Trauer empfinden wie wir Frauen, wenn wir ein Kind verlieren?
    Er blieb zwei Tage lang so sitzen, während wir anderen Trauergesänge sangen. Am dritten Tag stand er auf, barg das Kind an seiner Brust und verschwand plötzlich von unserem Feuer, zwischen den Gruppen der anderen Familien hindurch und in die Wälder, in die er und sein Sohn sich so oft gewagt hatten. Zwei Tage später kehrte er

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