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Seifenblasen kuesst man nicht

Seifenblasen kuesst man nicht

Titel: Seifenblasen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Der Ohrwurm blieb. Sie würde dieses Lied den ganzen Tag nicht mehr loswerden. Während sie Richtung Neukölln fuhr, zählte sie die Tage bis zu den Sommerferien. Nur noch zwei Wochen, dann konnte sie sich wenigstens noch einmal hinlegen und den Schlaf nachholen, bevor sie am Nachmittag in die Ballettschule ging. Durchhalten, dachte sie noch. Durchhalten. Für London, für Khaled, für meinen Traum. Dann war sie eingeschlafen.

2.
    Mansur Autowerkstatt stand in leuchtend blauen Lettern an der Hauswand. Das war auch das Einzige, das leuchtete. Als Coralie, eine Tüte Brötchen unter dem Arm, den Hinterhof erreichte, hörte sie schon das Quietschen der Hebebühne. Sie stellte das Fahrrad an die Hauswand und schlenderte, die Hände in den Jeanstaschen vergraben, hinüber in den niedrigen Anbau. Vor über hundert Jahren hatte er einmal als Pferdestall gedient. Zu einer Zeit, in der noch Gaslicht die Nacht erhellte und Kachelöfen in den Wohnungen bullerten. Lange hatte er leer gestanden. Bis sie nach Berlin gezogen waren.
    An die Zeit davor konnte sich Coralie kaum noch erinnern. Aber an ein Gefühl: dass alles anders, alles besser gewesen war. Dass es Wiesen gegeben hatte und weite Felder. Wie sie zum ersten Mal in einer Seifenkiste den Hügel hinuntergerast und im Graben gelandet war (daher die kleine Narbe am Knie). Dass ihr Vater lange weg war und ihr immer, wenn er wiederkam, ein neues Auto zum Spielen mitgebracht hatte. An Geldsorgen konnte sie sich nicht erinnern. Die waren danach gekommen …
    Danach, als sie das Haus verlassen hatten und in die Stadt ziehen mussten. Ihr Vater kam zunächst zwar jeden Abend heim, aber er war müde und ausgelaugt, und ihre Mutter weinte oft. An ein, zwei Zusammenstöße auf der Straße konnte sie sich erinnern. Fremde Leute, die sie anschrien und ihnen böse Dinge hinterherriefen. Das wurde erst besser, als ihr Vater seinen Job hinschmiss und sich selbstständig machte. Geld hatten sie nach wie vor nicht. Aber er war sein eigener Herr.
    Da hatte Coralie schon lange aufgehört, mit Autos zu spielen. Denn Autos waren Unglück. Sie hatten ihnen erst das Haus genommen und dann den Vater, der von morgens früh bis abends spät schuftete. Er brachte die Rostkarren der Nachbarschaft wieder auf Vordermann und schien einen geheimen Pakt mit dem TÜV zu haben, denn alle Autos, die er reparierte, liefen anschließend wieder anstandslos. Am Anfang war Coralie noch oft in der Werkstatt gewesen. Sie hatte diesen Geruch gemocht: Öl, Glut, Feuer, untermalt vom satten Tuckern der Motoren. Doch irgendwann hatte sie mitbekommen, dass sie nur an zweiter Stelle stand. Damals hatte sie noch nicht begriffen, dass ihre Eltern ums Überleben kämpften. Damals hatte sie geglaubt, alles sei wichtiger als sie: die Werkstatt, die Kunden, die Autos. Vor allem die Autos. Coralie hasste Autos.
    Am Eingang zur Werkstatt blieb sie stehen. Im Halbdunkel erkannte sie die geschwungenen Formen eines beigefarbenen Karman Ghia.
    Â»Guten Morgen!«, rief sie.
    Es duftete nach Kaffee und Schmieröl.
    Â»Gute Morgen!«, dröhnte die Stimme ihres Vaters aus der Unterwelt.
    Coralie ging in die Knie und beugte sich hinunter in den Werkschacht. Ihr Vater leuchtete gerade die Unterseite des Wagens ab und schüttelte beim Anblick der Hinterachse bedauernd den Kopf.
    Â»Sieht nicht gut aus«, sagte Coralie. Der Rost hatte sich fast zu den Bremsbacken durchgefressen. »Auswechseln?«
    Â» Non. Mal sehen, was von der Substanz noch zu retten ist. Guten Morgen, ma petite .«
    René Mansur drückte ihr die Taschenlampe in die Hand und kletterte aus dem Schacht nach oben. Obwohl es so früh war, blitzten seine Augen hellwach. Er griff nach einem Lappen, um sich die Hände abzuwischen. Ihr fiel auf, dass sie trotz ihrer Turnschuhe eine Winzigkeit größer war als er. Das versetzte ihr einen kleinen Stich. Wie lange würde er sie noch seine Kleine nennen? Sie sahen sich ähnlich. Jedem, der Vater und Tochter nebeneinander sah, fiel das auf. Von ihm hatte sie die kastanienbraunen störrischen Haare geerbt, die Sommersprossen und das kleine, trotzige Kinn. Das Lächeln, hätte ihre Mutter noch hinzugefügt und wäre René dabei durch die struppigen Locken gefahren. Ihr Hugenotten. Immer charmant und nie um eine Ausrede verlegen.
    Â»Wo ist Maman ?«, fragte Coralie. Die kleine Eigenheit, französische Kosenamen zu

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