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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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Zeitungen über den Stand der polizeilichen Ermittlungen gelesen hatte. Erst dann gab er das Gespräch wieder, das er mit Patrick geführt hatte. Willem sagte ihr auch, warum Patrick sie vermutlich sprechen wollte. Pias gute Laune schien zu schwinden.
    »Ach, Will, mir ist eigentlich völlig egal, was Patrick denkt. Ich konnte ihn noch nie leiden.«
    »Ich auch nicht«, sagte Willem. »Aber glaubst du, dass er uns gefährlich werden könnte?«
    »Nein, der wird schön seinen Mund halten, selbst wenn er wirklich etwas wüsste. Vergiss nicht, dass ich mit seinem Revolver auf Hewitt geschossen habe.«
    Willem war froh, dass Pia das sagte. Sie dachte also genauso wie er.
    »Wo habe ich dich jetzt eigentlich erreicht?«
    »Ich bin in einem kleinen Dorf in der Nähe von Malaga. Du wirst es nicht kennen. Es ist wunderschön hier. Und ich bin wunderschön, Will. Du müsstest mich sehen, erholt und braungebrannt und wieder mit langen Haaren. Du würdest dich in mich verlieben.«
    »Aber das bin ich doch, Pia, das bin ich immer gewesen.«
    »Und wo bist du, alter Lügner?«
    »Ich bin schon seit ein paar Wochen in der Schweiz. Ich will aber nach London zurück, vielleicht schon morgen.«
    »Was du nur an London findest! Aber ich wünsche dir, du wirst dort glücklich werden.«
    »Das werde ich, Pia, ganz bestimmt.«
    »Melde dich wieder bei mir! Versprochen?«
    »Versprochen. Auf bald.«
    »Auf bald, Will.«
    Am nächsten Tag machte Willem einen langen Spaziergang um den See. Er gehörte eigentlich nicht zu denen, die sich im Anblick der Natur der lyrischen Bewunderung ihrer Großartigkeit überlassen. Willem war durch und durch Städter und sehnte sich nach der Geschäftigkeit Londons zurück, seinen Straßen, Pubs und Cafés. Und die gestaltete Natur der Londoner Parks war ihm lieber als die willkürliche der Schweizer Berge, die er in den letzten Wochen manches Mal als feindselig und bedrückend empfunden hatte. Doch in dieser späten Vormittagsstunde gab er sich dem klaren Grün der Wälder und Weiden, dem klaren Blau des Himmels und dem klaren Gelb der Sonne vorbehaltlos hin.
    Er verließ Sils-Maria, bog vor einer schmalen Brücke in einen Feldweg ein, der durch Wiesen direkt zum Ufer führte. Mal grau, mal grün, mal silbern schimmernd breitete sich der See unter der prallen Sonne aus. Im Schatten eines pyramidenförmigen Granitfelsens, der sich unmittelbar am See erhob, ließ sich Willem nieder und beobachtete, in die eigenen Gedanken versunken, wie die Wellen weich das Spiegelbild der bewaldeten Berge zurückwarfen. Nur das sanfte Rauschen der Gebirgsbäche war zu hören. In diesem Augenblick fühlte er sich der Welt und den Dingen gänzlich entfremdet und teilhaftig zugleich.
    Nur einmal hatte Willem ähnlich empfunden, in jenen Stunden in Pias Appartement hoch über London. Da hatte er erfahren, was Tod ist und was Leben sein kann. Er hatte es durch Nikitas Sterben sowie Pias und seine Lust erfahren. Da hatte er nicht gezögert, nicht nur zugeschaut, sich nicht den Dingen entzogen. In jenen Stunden hatte er sich selbst überwunden, war zu dem geworden, was er immer sein wollte: handelnde Figur in einer Geschichte. Es war die Stunde seiner zweiten Geburt gewesen. Den Willem, der sich ziellos durch Londons Straßen treiben ließ, der nur auf das Leben wartete, gab es nicht mehr. Der war gestorben.
    Willem blickte direkt in die Sonne, schloss die Augen, spürte die Kraft der Sonne durch seine Lider. Wie klein und kläglich kam ihm jener vor, der er gewesen war. Und wie klein und kläglich kam ihm die Schuld vor, die ihn gequält und bis an den Rand der Verzweiflung gebracht hatte. Was hatte er sich denn vorzuwerfen? Die Entführung war zwar seine Idee gewesen. Aber es war auch nichts als eine Idee gewesen.
    Er dachte an jenen Moment zurück, als er mit Nikita im weißen Lieferwagen am Haus der Hewitts vorbeigefahren war und sie Patricia gesehen hatten. Hatte er da nicht sogar versucht, Nikita von der Entführung abzuhalten? Wäre er überhaupt im Stande gewesen, seinen eigenen Plan in die Tat umzusetzen? Nikita und Pia hatten die Entführung ausgeführt, nicht er. Sie hatten es getan. Sie hatten ganz ohne ihn ihre Entscheidung getroffen. Und es war nicht er gewesen, der Hewitt erschossen hatte. Es war Pia gewesen. Und es war Nikita, der ihr die Waffe gegeben hatte.
    Genauso wenig war er schuld an Nikitas Tod. Hewitt hatte geschossen. Und es war Pia, die ihn schließlich tötete. Sie hätte sich aus seinen Armen befreien

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