Sein Anteil
hatte.
Zunächst hatte sich Willem in der ebenso behaglichen wie biederen Atmosphäre seines Schweizer Refugiums einigermaßen sicher gefühlt. Doch mit jedem Tag, an dem er die Zeitungen ergebnislos durchblätterte, wuchs die Ungewissheit, ob die Polizei nicht doch schon seine Spur verfolgte. Schließlich war er unter Willem Breuk im Hotel gemeldet, da er bei der Ankunft seinen Pass vorlegen musste. Und dass er als Wohnort Antwerpen angegeben hatte, würde seine möglichen Verfolger kaum in die Irre führen.
Aber wie gefährlich wäre es für ihn, nach London zurückzukehren? Tagelang grübelte Willem über dieser Frage, bis er endlich eine Antwort fand. Er wählte Nikitas Telefonnummer.
»Hallo?«
Die Stimme, die sich mürrisch am anderen Ende der Leitung meldete, erkannte Willem sofort.
»Patrick, ich bin es, Willem. Erinnerst du dich an mich? Wie geht’s dir?«
Er gab sich alle Mühe, möglichst freundlich und unbeschwert zu klingen.
»Willem?« Im nächsten Moment war bei dem Iren der Groschen gefallen. »Willem, der Journalist. Ja, ich erinnere mich. Was willst du?«
Die Frage klang ebenso unfreundlich wie misstrauisch.
»Ich wollte Nikita sprechen. Ich habe ein Problem mit meinem Wagen. Und ich dachte, Nikita könnte ihn sich vielleicht mal ansehen.«
»Nikita? Weißt du denn nicht, was geschehen ist? Nikita ist tot!«
Willem machte eine künstliche Pause, bevor er antwortete.
»Nikita ist tot? Oh, mein Gott!«
»Ja, man hat Nikita umgebracht. Und du weißt nichts davon?«
»Nein, das ist ja schrecklich. Wann ist das passiert? Und warum?«
»Bist du denn nicht in London? Es hat in allen Zeitungen gestanden«, sagte Patrick entrüstet.
»Nein, ich bin seit fünf Wochen nicht mehr in London. Ich musste nach Belgien aus familiären Gründen. Aber sag doch bitte, was los ist. Ich habe wirklich nichts mitbekommen.«
Willem spürte Patricks Zögern. Dann antwortete er doch, widerwillig, in belehrendem Ton. Er erzählte Willem genau das, was auch in den Zeitungen gestanden hatte, dass man Nikitas Leiche auf einem Gleis gefunden hatte, von der Schusswunde, und davon, dass man ihn offenbar erstickt hatte, von der Entführung, und auch davon, dass man Michail verdächtigt hatte.
Hier unterbrach Willem den Iren.
»Michail? Aber ich dachte, Nikita und Michail seien Freunde. Ich meine, waren Freunde«, verbesserte sich Willem.
»Natürlich waren sie das. Aber die Polizei hat trotzdem nach Michail gesucht.«
»Und hat sie ihn gefunden?«
Willem hoffte, seine Frage hatte nicht allzu neugierig geklungen.
»Ja, sie haben ihn sogar eingelocht, die Idioten.« Patrick lachte plötzlich. »Aber sie mussten ihn wieder laufen lassen. Er hatte nämlich ein hieb- und stichfestes Alibi. Ein besseres Alibi konnte Michail gar nicht haben. Weißt du, wo er an dem besagten Wochenende war?«
Das wusste Willem selbstverständlich nicht.
»Du wirst es nicht glauben!«, Patrick lachte wieder, beinahe hysterisch. »Michail war im Knast, in Brighton. Er hatte sich dort mit Andrea – du kennst ihn, den Italiener, den Pizzabäcker – ein feuchtfröhliches Wochenende gemacht. In irgendeinem Club haben die beiden versucht, ein paar Engländerinnen anzumachen. Aber die Freunde der Mädchen waren gar nicht damit einverstanden. So kam es zu einer heftigen Schlägerei. Und am Ende haben die Bullen Michail und Andrea und die Engländer allesamt in den Bau gesteckt. Für ganze achtundvierzig Stunden. Na ja, im Nachhinein kann Michail sogar darüber heilfroh sein.«
»Michail ist also wieder frei?«
Patrick wurde wieder ärgerlich.
»Das schon. Aber die Briten haben ihn abgeschoben. Erst ließen sie ihn laufen. Doch nach ein paar Tagen sammelten sie ihn wieder ein und setzten ihn gleich in die nächste Maschine nach Moskau. Michail hatte nur ein Studentenvisum. Und die Polizei sagte, er hätte gegen die Aufenthaltsbestimmungen verstoßen. Wenn du mich fragst, wollten die Idioten ihn einfach loswerden, damit er nichts über ihre stümperhaften Ermittlungen ausplaudern konnte. Ich sag dir, die Briten sind alle Schweine.«
Willem war zufrieden, so zufrieden, dass er Patrick vorbehaltlos zustimmte.
»Aber wer hat denn Nikita umgebracht?«
»Keine Ahnung. Aber ich sag dir, die Briten haben noch weniger Ahnung.«
Dann stellte der Ire Willem eine Frage, mit der er nicht gerechnet hatte.
»Weißt du, wo Pia ist? Sie ist seit Nikitas Tod wie vom Erdboden verschwunden.«
Willem überlegte eine Sekunde, ob er Patrick die Wahrheit
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