Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
sich um den Verletzten, aber der Koch wehrte seine Bemühungen heftig ab.
    »Es ist nichts«, sagte er und zog kurz die Kochjacke hoch. »Eine Schramme, weiter nichts.«
    Die Wunde war tatsächlich oberflächlich, aber sie blutete wieder. Henry machte etwas anderes mehr Sorgen. »Wenn deine Frau sagt, dass andere den Rest übernehmen, was bedeutet das?«
    Der Koch rappelte sich auf und ging zu einem steinernen Wasserbecken, wo ein weißes Küchenhandtuch hing, das er auf die Wunde drückte.
    »Es kann heißen, dass das Begleitkommando noch in der Gegend ist, die Hunde, die dich überfahren wollten, die sollen uns   … ja, die sollen hier sauber machen.«
    »Die Idioten würden drei Tote mehr in Kauf nehmen? Zwei sind schon auf ihrem Konto! Nein, vier!« Henry biss die Zähne zusammen bei der Vorstellung, dass Menschen so gnadenlos sein konnten, es war ihm unverständlich. »Außerdem werden sie gejagt   …«
    Das bezweifelte Frank entschieden. »Von denen existieren keine Fotos, wohl aber von den Winzern. Aber das ist unwichtig, die tauchen ab. Wichtig ist vielmehr, dass wir hier verschwinden, und zwar schleunigst.« War Frank so blassoder ließ ihn das Licht über dem Tisch so aschfahl aussehen? »Wir müssen realistisch sein. Sie werden sich auf jeden Fall diesen Herrn da holen wollen«, er zeigte auf Brunner. »Du weißt zu viel, du bist ein Risiko, Brunner, wenn sogar deine Frau dich umbringen will.«
    Das war auch Henry klar. »Wir sitzen ziemlich tief im Dreck. »Niemand wird uns befreien, keiner weiß, dass wir hier sind.«
    »Falsch, einer weiß es: dein Freund Templin.« Frank war sich jedoch nicht sicher, ob man mit ihm rechnen konnte. »Was ist mit einem Notausgang, Brunner?« Der Koch müsste von der Renovierung her die Grundmauern des Gebäudes kennen. »Warst du beim Umbau nicht dabei?«
    Brunner saß zusammengesunken auf einem der Stühle an dem runden Tisch inmitten der Regale und Kistenstapel und stützte den Kopf in die Hände. Einem Menschen, der sich so aufgegeben hatte, war Henry noch nie begegnet.
    »Es gibt keinen zweiten Ausgang«, sagte er und wirkte wie ein schlapper Luftballon.
    »Dann müssen wir uns selbst einen schaffen.« Der Gedanke, aufzugeben, empörte Henry. Wie gleichgültig musste man dem eigenen Leben gegenüber sein, um sich hier hinzusetzen. Er wusste nicht, ob es angeboren war, dass man sich wehrte. Aber man konnte sich auch entscheiden, der eine mehr, der andere weniger. Draußen schien der Mond, das wusste Henry, morgen würde die Sonne scheinen   – und vielleicht kommt Isabella morgen, aber nicht zu meiner Beerdigung. Frank ist ähnlich eingestellt, auf den kann ich zählen. Nur Brunner hat keine Chance mehr, höchstens als Kronzeuge, und er weiß es. In den Knast oder abgeknallt werden.
Viva la muerte
, hieß es in Spanien, es lebe der Tod!
    Zuerst musste der Zugang verbarrikadiert werden. Henry und Frank türmten Weinkisten hinter der Tür zu einer Mauer auf. Von außen war die Tür, sie ging nach innen auf, jetzt nicht mehr zu öffnen, dummerweise waren sie gleichzeitiggefangen. Außerdem stellten sie eine Batterie von Champagner- und Sektflaschen in Reichweite, eine Flasche mit fünf Bar Innendruck war eine Handgranate, wenn sie platzte, der Schaum schuf Verwirrung, die Splitter Verletzungen.
    Dann erst suchten sie die Wände ab. Dazu mussten Weinregale ausgeräumt und Kisten beiseitegestellt werden. Überall standen auch Flaschen auf dem Boden, ein Pappschild darauf mit Namen und Jahr. Henry begriff, dass hier Schätze aufgestapelt waren. Hatten Brunners sie bezahlt oder war es aus Weinkellern gestohlene Ware?
    Die Ansammlung von großen Bordeaux-Weinen fiel Henry schnell ins Auge. Da gab es Grand Crus aus vielen Lagen, darunter einen aus Saint-Estéphe. Aus der Appellation Pessac-Léognan war ein Château Haut-Brion dabei, so etwas leistete Henry sich gern, aber viel zu selten.
    »Wenn du den aufmachen willst«, sagte Brunner, der ihn beobachtete, »ich habe nichts dagegen. Man muss die Momente genießen.« Er hielt Henry einen Korkenzieher hin. »Gläser und Dekantierkaraffen sind rechts im Schrank, die Türen stehen immer offen.«
    Frank hing an der Wand und horchte wie ein Arzt mit dem Stethoskop an der Lunge des Patienten. Er klopfte. Er würde am liebsten gleich alle Regale von den Wänden abrücken. Vielleicht sah man an den Fugen, wo sich eine zugemauerte Tür, ein Durchgang zu einem anderen Keller befand. Von da aus käme man vielleicht nach draußen

Weitere Kostenlose Bücher