Sein letzter Burgunder
Henry, um ihn zu beruhigen, damit er weitersprach. Außerdem lief die Zeit, Signora Brunner konnte jeden Moment zurückkommen, dann wäre die Beichte vorbei, Brunner würde wieder kuschen.
»Ich habe sie in Reggio Calabria kennengelernt, in den Ferien, ich hatte in der Berufsschule einen Italiener als Freund, der hat mich nach Reggio mitgenommen, wo seine Tante eine Trattoria hatte. Da habe ich sie getroffen. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick, was es bei ihr war, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich glaube, sie brauchte jemanden, den sie herumschicken konnte. Wir haben bald ein gemeinsames Leben geplant. Ich hatte immer den Traum vom eigenen Restaurant. Und sie sagte, ihre Eltern könnten uns dabei helfen, die hätten ziemlich viel Geld und Vertrauen zu ihr.«
Brunner hatte die Hände um die Flasche gelegt, hielt sie vor die Brust wie ein Mikrofon und starrte beim Sprechen den Flaschenhals an. Dann sah er sich um, fand eine Dekantierkaraffe und gab den Wein tropfenweise hinein.
»Ich hätte misstrauisch werden müssen«, fuhr er fort, »ich habe gleich gemerkt, dass die Eltern einfache Leute waren, die normalerweise nicht über viel Geld verfügen. Ihnen fehlte, das weiß ich erst heute, die Kultur, die dahintersteht. Auch Neureiche sind anders, die haben wir hier zur Genüge. Die imitieren die ihnen fehlende Kultur. Es war ein krasses Missverhältnis zwischen Geld und Geist. Ein reicher Manager, auch wenn er ein Lump ist, verfügt zumindest über eine gewisse Bildung.«
Brunner schenkte ein, als würde er eine Arzneimischung herstellen. »Es soll in jenem Jahr Italiens Bester gewesen sein. Aber wer ist schon der Beste, der Schönste, der Schnellste?« Er sah sich um, bekam keine Antwort und sprach weiter.
»Rebecca – ich fand ihren Namen wunderschön – Rebecca wollte hoch hinaus. Sie wollte ein Hotel, wie sie sagte, wir hielten Händchen und hielten es für die ideale Verbindung. Mein Freund hat mich gewarnt, es seien die falschen Leute, man wüsste nicht, wo die ihr Geld herkriegten und so weiter. Wenn man verliebt ist, kann man auf Ratschläge gut verzichten. Klar, dass wir in Italien kein Restaurant aufmachen würden, ich bin von hier, aus Bickensohl, ich kannte den Kaiserstuhl. Damals waren die Weine längst nicht so gut wie heute. Was mich stutzig machte, war – da waren wir längst hier, und es stand bereits ein Teil des Hotels –, dass so viele Italiener vorbeikamen, mit denen, ja, wie soll ich es sagen, ein irgendwie familiäres Verhältnis bestand. Sie schloss mich gleich von ihren Gesprächen aus. ›Geh kochen, wir freuen uns auf dein Essen‹, sagte sie. Also habe ich für alle gekocht. Ich hab’s gemacht, und sie redeten. Über Geld, über Leute, über Methoden, wie ich mitbekam. Zuerst war ich eifersüchtig, aber ich habe schnell gemerkt, dass es um Geschäfte ging. ›Ich möchte dich damit nicht belasten‹, hat meine Frau immer gesagt, ›es würde dich beunruhigen.‹ Da fing ich an, die Dimension zu begreifen, da wusste ich, dass es kein Entkommen gab. Den Italienern macht das nichts aus, für sie zählt anscheinend das eigene Leben wenig, die Familie umso mehr.«
Henry führte sein Glas an die Nase. Der Wein war betörend, er konnte sich gut vorstellen, dass es Italiens Bester gewesen war, vielleicht war er es jetzt noch: Eleganz, Klasse und Rasse, lebendig dazu, eine grandiose Verbindung! Und Brunner redete.
»Querciabella hat sich nie von Amber bewerten lassen«, sagte er, als müsse er sich entschuldigen. »Ich rede sonst nicht so viel, aber ich habe das Gefühl, ich habe nicht mehr viel Zeit.«
Frank stimmte ihm zu. »Das ist wahrscheinlich der Fall, wir nämlich auch nicht. Komm zum Punkt!«
»Amber?«
»Genau um den geht es.«
Brunner erzählte etwas Ähnliches wie Jürgen Templin über ihn, allerdings aus einer anderen Warte. Er habe erst im letzten Jahr erfahren, dass der Weinkritiker mit der »Familie« in Verbindung gestanden hatte. Soweit er wusste, hatte Amber seine Schulden komplett zurückgezahlt und war damit draußen.
»Dann übernahm die neue Generation die Macht, diese gnadenlosen Vierzigjährigen, Profit-Söldner mit Leib und Seele, für die außer Geld nichts zählt, auch die Familie nicht mehr. Schwarzer Anzug, schwarzes Auto, schwarze Seele. Und alte Absprachen zählten auch nicht mehr. Sie wollten dauernd frisches Geld – und Amber hat sich geweigert. Er hatte seine Schulden bezahlt. Da haben sie ein Exempel statuiert.«
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