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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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etwas unsicher nach dem Glas, das Frank ihm zur Hälfte gefüllt hinhielt. »Kommt Amber eigentlich in den Himmel oder in die Hölle?«
    »…   sein Preis ist geradezu ein Witz, hundertachtzig Euro, das kann sich bei dem Preis fast jeder leisten, es handelt sich bestimmt um einen günstigen Restposten. Man sollte sich dieses Angebot auf keinen Fall entgehen lassen, denn die Menge ist ungewöhnlich knapp. He, Brunner, war das ein Schnäppchen? Oder ist es Diebesgut?«
    »Lass ihn, du bist betrunken. Himmel oder Hölle, wohin?«
    »Ich war selten so klar wie jetzt, nicht wahr, Brunner? Er schmort längst in der Hölle, er war immer da, schon zu Lebzeiten.« Frank beobachtete, wie der Koch sich schwerfällig zwischen einem Kistenstapel und einem Regal ein Lager aus Pappkartons bereitete, zustimmend oder ablehnend brummte und sich mit verkniffenem Gesicht dort niederlegte, einen Streifen Wellpappe zu einem Kopfkissen zusammenrollte und ein großes Stück als Decke über sich zog.
    Der Herr des Hauses lag da wie ein Obdachloser undschnaufte. Unten schauten die weißen Hosenbeine und Schuhe heraus, oben das bleiche Gesicht des Mannes.
    Er wirkt, als wäre er aus zwei Teilen zusammengesetzt, dachte Henry und fragte sich, wie man so leben kann: einerseits seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, bis in die Spitze vorzudringen, andererseits muss er sich doch bewusst gewesen sein, dass er ein geliehenes Leben lebte. Einerseits abhängig von der Gnade einer kaltherzigen und, wie sich jetzt herausgestellt hatte, auch einer schießwütigen Frau, andererseits vom wahren Hausherrn, einer Verbrecherorganisation, der ’Ndrangheta. Aber »die Familie« hatte ihn gebraucht, den Unschuldigen, den Koch. Ohne seine Kochkunst wäre hier nie jemand hergekommen. Hätte er seine Speisen nicht mit einem derartigen Enthusiasmus zubereitet, auch als Gefangener seiner Küche, dann hätte die »Familie« hier keinen Stützpunkt errichten können.
    »Lass ihn in Ruhe«, sagte Frank und senkte die Stimme, »das Schlimmste steht ihm bevor, wenn sie ihn abholen. Gibt es in Deutschland eigentlich ein Zeugenschutzprogramm?«
    »Ich glaube schon«, sagte Henry und stellte das Auskratzen der Fugen ein, er hielt es für sinnlos, er hielt alles für sinnlos, selbst das Sinnlose war sinnlos.
    Henry holte sich einen Stuhl und ein Glas. Er hatte die Weine vom Weingut Kalkbödele entdeckt, er konnte die Vorprobe vornehmen, mögliche Korkschmecker vorab entdecken, den Wein belüften und Frank beim Kratzen überwachen. Der Weißburgunder aus dem Barrique gefiel ihm besser als der ebenso vinifizierte Grauburgunder. Alle Weißen waren fruchtig, hatten schöne Aromen, nichts störte. Der Spätburgunder aus dem Fass mit Kastanienholz wich am deutlichsten von den anderen Kaiserstühlern ab, das Holz war diskreter, dafür kamen Rosmarin und getrocknetes Basilikum in den Aromen vor.
    Stimmte das, oder war er betrunken? Er meinte, dass Franks Bewegungen wieder langsamer geworden waren, deranfängliche Enthusiasmus fehlte, es war immerhin drei Uhr nachts, er hatte mindestens anderthalb Flaschen Wein intus, aber er gab nicht auf. Dieser verdammte Neureuther, er und seine Feigheit.
    Neben den Kisten von Kalkbödele standen die Weine von Johner. Nein, er verkniff es sich, sie jetzt zu probieren, sie waren zu gut, er würde die Unterschiede nicht mehr schmecken, er wusste ja kaum noch, was er trank, und stimmte lieber Frank zu, denn er war auch der Ansicht, dass Neureuther ihnen das eingebrockt hatte. »Hätte er die wilde Rebecca mitsamt ihrer Kanone heute Morgen verhaftet, säßen wir hier nicht fest«, schimpfte er und betrachtete das Elend unter den Pappen. »Auch Brunner hätte er die Schmerzen erspart. Der regt sich nicht mehr. Der ist hinüber.«
    »Neureuther hat möglicherweise auf Befehl gehandelt, er kann auch nicht machen, was ich will.«
    »Was du willst?« Henry sah Frank zum Tisch gehen, sich an der Kante festhaltend und schwer atmend. Die Augen hielt er mühsam offen, aber er zwang sich zum Wachbleiben, ruderte mit den Armen nach dem Gleichgewicht und suchte die Regale ab.
    »Da muss doch irgendwo in diesem verdammten Keller noch ein guter Tropfen aufzutreiben sein.«
    Frank schlingerte, stützte sich an einem Regal ab und überspielte den unsicheren Schritt. »Ich bin müde, weißt du. Es ist nicht so, wie du denkst, es hat nichts mit dem Wein zu tun   …«
    Die Flasche in Franks Hand interessierte Henry nicht mehr, er merkte, wie ihm der Kopf auf die

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