Sein letzter Fall - Fallet G
–, wurde aber gezwungen, die Spekulationen abzubrechen, als ein glänzend blauer Saab langsam zwischen den schwarzen Granitpfeilern herausrollte, die die Einfahrt zum Haus markierten. Wie zwei starre, aber ordentlich uniformierte und etwas überheblich erscheinende Lakaien standen sie dort und drückten ihre stumme Verachtung gegenüber allen nicht willkommenen Besuchern aus.
Es saß nur ein Mann hinter dem Steuer, und Verlangen hegte keinerlei Zweifel daran, dass es sich dabei um Jaan G. Hennan höchstpersönlich handelte – obwohl er nur ein sehr getrübtes Bild von ihm bekam.
Wer sollte es auch sonst sein? Man durfte ja wohl voraussetzen, dass Barbara Hennan ihm zumindest die richtige Adresse genannt hatte.
Er ließ dem Saab fünfzig Meter Vorsprung, dann startete er seinen guten alten Toyota und nahm die Verfolgung auf.
Klassisch, dachte er mit hartnäckiger Monotonie.
Hennan parkte auf einem der schmalen Grundstücke hinter der Kirche und ging die hundert Meter zum Marktplatz zu Fuß. Er verschwand durch das Tor eines Geschäfts- und Bürokomplexes in traditionellem, beigefarbenem Fünfzigerjahreschnitt mit drei Stockwerken. Verlangen gelang es, den Toyota in eine enge Parklücke auf der anderen Straßenseite zu manövrieren. Er stellte den Motor ab, zündete sich eine neue Zigarette an und kurbelte wieder die Scheibe hinunter.
Er hielt seine Aufmerksamkeit auf die Reihen leerer, geschlechtsloser Fenster über den Geschäften im Erdgeschoss gerichtet. Ein Schuhgeschäft. Ein Beerdigungsinstitut. Eine Schlachterei.
Nach knapp zwei Minuten wurde eines der Fenster über dem Beerdigungsinstitut geöffnet. Jaan G. Hennan beugte sich hinaus und kippte eine halbe Tasse Kaffee auf den Bürgersteig. Anschließend schloss er das Fenster.
Typisch, dachte Verlangen. Ein geborener Stinkstiefel bleibt sein Leben lang ein Stinkstiefel. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nachzusehen, ob er jemanden erwischen könnte.
Verlangen kurbelte die Rückenlehne zurück, damit er bequemer sitzen konnte. Er holte den Sportteil der Allgemejne hervor und schaute auf die Uhr. Es war Viertel vor zehn.
Nun denn, dachte er. Da ist man also wieder mal bei der Arbeit.
Als er sogar die Todesanzeigen zum zweiten Mal gelesen und an die zehn Zigaretten geraucht hatte, begann Verlangen seinen Vorsatz eines nüchternen Tages zu bereuen.
Es war zwanzig nach elf, und er veränderte ihn schnell in einen nüchternen Vormittag. Ein paar Biere beim Mittagessen – wenn es denn überhaupt ein Mittagessen geben würde – durfte er sich doch wohl nach diesen blaugrauen Beschattungsstunden gönnen. Monoton wie Meditationsübungen in einem buddhistischen Kloster. Verlangen hatte einen guten Freund, der vor ein paar Jahren auf diesem Weg verschwunden war. Nach Tibet oder Nepal oder zum Teufel wohin.
Hennan war auch ziemlich unsichtbar. Er zeigte sich ein einziges Mal am Fenster, das war alles. Stand bewegungslos ein paar Sekunden da und starrte auf die Wolkendecke, als dächte er über irgendetwas nach. Oder als bekäme er soeben eine leichtere Hirnblutung. Anschließend hatte er sich umgedreht und war aus Verlangens Horizont verschwunden.
Das Objekt. Das Bewachungsobjekt. Der Grund, warum Verlangen hier in seinem abgehalfterten japanischen Reistopf saß, um für sein verpfuschtes Leben dreihundert Gulden am Tag zu verdienen. Carpe diem, oh Scheiße.
Seine Gedanken wanderten zurück zu Hennan. Zu den wenigen Eindrücken, die er während der Voruntersuchung gegen ihn vor zwölf Jahren hatte gewinnen können.
Der Prozess selbst war ziemlich schmerzfrei verlaufen. Die Beweise gegen Jaan G. Hennan waren, nachdem man ein paar Handlanger dazu gebracht hatte, den Mund aufzumachen, überwältigend gewesen. Er hatte bereits seit ein paar Jahren Cannabis, Heroin und Amphetamine via Kurier ge- und verkauft, hatte ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut und wahrscheinlich gut und gerne die eine oder andere Million eingesackt. Was vor allem der Tatsache zu verdanken war, dass er offenbar selbst nie irgendeiner Sucht zum Opfer gefallen war.
Mit anderen Worten: keine besonders interessante Geschichte, aber es war vor allem der hartnäckigen Lauferei und Kleinarbeit von Verlangen und seinem Kollegen Müller zu verdanken, dass er ihnen ins Netz gegangen war. Woraufhin G. bekam, was er verdiente – zwei Jahre und sechs Monate –, und die Gewissheit, dass die beiden, er und Verlangen, vermutlich nie wieder einander schätzen oder die jeweiligen
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