Sein mit Leib und Seele - Band 06
recht. Meine Sekretärin hat mich hierhergeschickt. Sie denkt, weil ich reich bin, müsste ich auch in einem Schloss wohnen. Wie alt schätzen Sie mich, ganz ehrlich?“
„Das ist mir peinlich, ich weiß nicht so genau ... Fünfunddreißig?“
„Ich bin 27, Mademoiselle Maugham.“
„Das macht der Anzug ...“
„Bestimmt.“
„Das Objekt ist Ihnen etwas zu klassisch oder täusche ich mich da?“
„Ja, ein wenig.“
„Und das Viertel?“
„Es ist schick.“
„Meinen Sie damit ... tot?“, frage ich und lächle verschwörerisch.
Er lächelt, ich habe ins Schwarze getroffen. Ich bitte ihn, auf einem der drei Kanapees im Hauptsalon Platz zu nehmen, und wir plaudern über seine Wünsche. Ich glaube, ich habe da etwas für ihn. Ich begleite meinen Kunden zur monumentalen Tür und verspreche ihm fürs nächste Mal eine nette Überraschung. Ich habe keine Zeit, mich über meinen ersten Erfolg zu freuen, da klingelt es auch schon an der Tür. Sicher ist es Madame Duval, deren Akte jetzt dran ist.
Ich öffne die Tür und treffe auf ... Guillaume.
„Aber was machst du denn hier?“
„Läuft dein erster Tag gut?“
„Super, aber du musst jetzt abhauen, ich erwarte eine Madame Duval.“
„Sie ist hier, ich wollte sie dir selber vorstellen. Sie ist meine Tante.“
In einer Ecke der Außentreppe steht wirklich eine Frau, die ganz in die Betrachtung einer Pflanze versunken zu sein scheint. Sie ist so dünn und still, dass ich sie nicht bemerkt habe. Schweigend kommt sie auf uns zu und hält mir eine weiße Hand hin.
„Guten Tag.“
Ich konnte es kaum hören. Ihre hellen Augen scheinen durch mich hindurchzublicken, als würde sie mich gar nicht wirklich wahrnehmen. Trotz ihrer gespenstischen Erscheinung ist sie sehr hübsch. Kurze braune Locken umspielen ihr Porzellangesicht, das ihr ein sanftes und kindliches Aussehen verleiht. Mir fällt auf, dass ich sie anstarre, aber sie scheint es nicht bemerkt zu haben.
„Ja, gut, ich lasse euch dann mal alleine ...“
Oh! Ich hätte ihn so gerne dabei gehabt. Trotz der seltsamen Anziehungskraft, die ich für seine Tante empfinde, muss ich gestehen, dass sie mir auch etwas Angst einjagt.
„Folgen Sie mir bitte, Madame Duval.“
Schweigend geht sie mir nach. Ich habe das Gefühl, ins Leere zu sprechen, während wir die riesigen Zimmer des Hauses durchschreiten. Ich beschließe, dieselbe Herangehensweise wie beim Italiener zu versuchen.
„Wird Ihre Familie nachkommen?“
„Nein.“
Erschöpft hat sie das gesagt, als würde sie das ihr Leben kosten. Ich weiß noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Stumm fahren wir mit der Besichtigung fort. Vielleicht wird diese Taktik ihr Schweigen brechen? Offenbar nicht. Im goldenen Badezimmer angekommen, erwische ich sie dabei, wie sie ein Lächeln andeutet.
„Gefällt es Ihnen?“
„Nein.“
Ein Schlag ins Gesicht. Das wird mir eine Lehre sein. Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll. Sie starrt gebannt auf das Mosaik-Fresko.
„Aber so etwas hätte meinem Mann gefallen.“
„Hätte gefallen“? Was soll das bedeuten? Dass ihr Mann nicht mehr ihr Mann ist? Dass er tot ist?
Darüber scheint sie mir nicht mehr erzählen zu wollen. Ich probiere eine neue Vorgehensweise.
„Kommen Sie aus Paris?“
„Ja, aber ich war lange abwesend.“
„Waren Sie im Ausland?“
„Genau.“
Das ist der intensivste Austausch, den wir an diesem Tag haben sollen. Wir sind an unserem Ausgangspunkt angekommen und ich weiß immer noch nicht, was sie über das Haus denkt. Ich werde meine Worte jetzt auch sparsam verwenden, wie sie.
„Und?“
„Nicht genug Grün.“
„Würden Sie gerne neben einem Park wohnen?“
„Ja.“
Das ist ihr letztes Wort. Nach dieser Anstrengung hält sie mir eine Hand hin, die überraschenderweise nicht kalt ist, dann macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet wie ein Gespenst in den Straßen. Ich lasse mich auf eine Bank fallen. Ich muss mit Guillaume über seine Tante sprechen. Aber es klingelt.
Beim Öffnen der Tür muss ich lächeln. Madame Dumont, so heißt sie, sieht mir ähnlich – in einer wohlhabenderen Version. Sie hat dieselbe Figur wie ich, auch dieselbe Größe und sogar dieselbe Haarfarbe. Aber ihre Kleidung ist eindeutig 3.000 Euro teurer als meine und ihr Schmuck bestimmt zehnmal so teuer. Wir könnten Freundinnen sein, das spüre ich. Ich halte ihr lächelnd die Hand hin.
„Madame Dumont, ich bin Emma Maugham, sehr erfreut.“
„Ich bitte Sie, nennen
Weitere Kostenlose Bücher