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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Staatsratstribüne zu Herrn Jules d'Escorailles
zurück.
    In der Tat änderte der Berichterstatter plötzlich den Ton, indem
er vom feierlichen zum vertraulichen überging, und sagte
schnell:
    »Wir beantragen, meine Herren, daß Sie den Gesetzentwurf ohne
weiteres so annehmen, wie er vom Staatsrate vorgelegt ist.«
    Damit setzte er sich unter großem Lärm.
    »Sehr gut! sehr gut!« rief der ganze Saal unter lebhaftem
Beifall.
    Herr de Combelot, dessen lächelnde Aufmerksamkeit keine Minute
nachgelassen hatte, rief sogar: Es lebe der' Kaiser! Doch verhallte
seine Stimme in dem allgemeinen Aufruhr. Man brachte fast dem
Obersten Jobelin eine Ovation dar, der allein an der Brüstung der
Tribüne stand und sich soweit vergaß, der Vorschrift zuwider mit.
den dürren Händen Beifall zu klatschen. Das ganze Entzücken,
welches die einleitenden Worte hervorgerufen hatten, tauchte wieder
auf und äußerte sich in einem Überschwang von Glückwünschen. Der
Zwang hörte auf. Von einer Bank zur andern tauschte man
Liebenswürdigkeiten aus, während ein Strom von Freunden sich auf
den Berichterstatter stürzte, um ihm kräftig beide Hände zu
schütteln.
    Endlich gewann in dem Lärm ein Wort die Oberhand:
    »Die Beratung! Die Beratung!«
    Der Präsident, der noch an seinem Tische stand, schien nur auf
diesen Ruf gewartet zu haben. Er klingelte, und inmitten der sofort
eingetretenen Stille sagte er:
    »Meine Herren, zahlreiche Mitglieder verlangen, daß man sogleich
zur Beratung schreite!«
    »Ja, ja!« bestätigte die ganze Kammer mit einem einzigen
Rufe.
    Aber es gab keine Beratung, es wurde nur
abgestimmt. Die beiden Artikel des Gesetzentwurfes, über die man
das Haus befragte, wurden durch Aufstehen von den Sitzen
angenommen. Kaum hatte der Präsident den, einen Artikel verlesen,
so erhoben sich mit einem lebhaften Geräusch der Füße sämtliche
Abgeordneten von oben bis unten, wie von Begeisterung
emporgeschnellt. Dann trugen die Hausbeamten die Urnen umher und
sammelten die Stimmzettel in den Zinkbehältern. Der Kredit von
400 000 Franken war einhellig mit 239 Stimmen genehmigt.
    »Flott gearbeitet«, bemerkte Herr Béjuin und begann, zu lachen
in dem Glauben, ein geistreiches Wort gesagt zu haben.
    »Es ist drei Uhr, ich drücke mich«, murmelte Herr La Rouquette,
an Herrn Kahn vorbeigehend.
    Der Saal leerte sich. Die Abgeordneten näherten, sich sachte den
Türen und schienen in der Wand zu verschwinden; auf der
Tagesordnung standen jetzt Gesetze von bloß örtlichem Interesse.
Bald saßen nur noch die da, die gerade draußen nichts vorhatten.
Sie setzten ihren Schlaf fort oder nahmen ihre Plauderei dort
wieder auf, wo sie sie abgebrochen hatten, und so ging die Sitzung
unter stiller Teilnahmslosigkeit zu Ende, wie sie begonnen hatte.
Selbst das Stimmengewirr verstummte allmählich, als ob die Kammer
in einem verschwiegenen, Winkel von Paris vollständig eingeschlafen
sei.
    »Versuchen Sie doch, Béjuin,« bat Herr Kahn, »Delestang beim
Hinausgehen zum Sprechen zu bringen. Er ist mit Rougon gekommen und
muß etwas wissen.«
    »Sie haben recht, es ist Delestang«, murmelte Herr Béjuin, den
Staatsrat ins Auge fassend, der zur Linken Rougons saß. »Ich kann
sie in diesen verdammten Uniformen niemals unterscheiden.«
    »Ich gehe nicht fort, ich will unsern großen
Mann fassen«, bemerkte Herr Kahn. »Wir müssen Gewißheit haben.«
    Der Präsident brachte eine endlose Reihe von Gesetzentwürfen zur
Abstimmung; diese geschah durch Erheben von den Sitzen. Die
Abgeordneten erhoben und setzten sich wieder wie Maschinen, ohne
ihr Geplauder, ja selbst ohne ihren Schlaf zu unterbrechen. Die
Langweile nahm derartig überhand, daß auch die wenigen Neugierigen
bald die Tribünen verließen. Nur Rougons Freunde blieben in der
Hoffnung, er werde noch das Wort ergreifen.
    Plötzlich erhob sich ein Abgeordneter, nach seinem regelrecht
geschnittenen Backenbart zu urteilen, ein Advokat aus der Provinz.
Dieses Ereignis brachte die Abstimmungsmaschine zum Stillstande,
und alles blickte lebhaft überrascht auf den Mann.
    »Meine Herren,« begann der Abgeordnete, »ich bitte um die
Erlaubnis, die Gründe auseinanderzusetzen, die mich zu meinem
großen Bedauern bestimmt haben, der von der Mehrheit des
Ausschusses vertretenen Ansicht mich nicht anzuschließen.«
    Die Stimme klang so spitz und possierlich, daß die schöne
Clorinde einen Lachanfall in ihren Händen erstickte. Unten im Saale
jedoch wuchs das Erstaunen. Was sollte das?

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