Seine Exzellenz Eugène Rougon
Türsteher trat herein, ein stattlicher
Mann, der ehemals in. der Kavallerie gedient hatte.
»Bringen Sie mir eine brennende Kerze«, bat Rougon.
Der Mann stellte einen der kleinen Leuchter vom Kamin auf den
Tisch; als er sich zum Gehen wandte, rief Rougon ihn zurück:
»Merle! Lassen Sie niemanden herein! Niemanden, hören Sie?«
»Gewiß, Herr Präsident!« versetzte jener und schloß die Tür
geräuschlos hinter sich.
Rougon wandte sich lächelnd zu Delestang, der am andern Ende des
Zimmers vor einem Aktenkasten stand und die Kartons aufmerksam
durchsuchte.
»Der wackere Merle hat heute den »Moniteur« noch nicht gelesen!«
murmelte er.
Delestang nickte, ohne eine Antwort zu finden. Er hatte einen
prächtigen Kopf, sehr kahl, aber eine jener vorzeitigen Glatzen,
welche den Frauen gefallen. Sein nackter Schädel, der seine Stirn über die Maßen vergrößerte, gab ihm
das Aussehen eines Mannes von großer Klugheit. Sein rosiges, etwas
viereckiges und völlig bartloses Antlitz erinnerte an die
regelmäßigen und nachdenklichen Gesichter, die Maler von
Einbildungskraft den großen Staatsmännern zu leihen pflegen.
»Merle ist Ihnen sehr ergeben«, sagte er endlich.
Damit versenkte er den Kopf wieder in den Kasten, den er eben
durchsuchte.
Rougon knitterte eine Handvoll Papiere zusammen, entzündete sie
an der Kerze und warf sie in eine große Bronzeschale, die auf dem
Pulte stand. Er sah zu, wie sie völlig ausbrannten und sagte:
»Delestang, die unteren Kartons lassen Sie liegen! Es sind Akten
darin, in denen nur ich mich zurechtfinde.«
Darauf setzten beide ihre Arbeit schweigend eine gute
Viertelstunde hindurch fort. Das Wetter war schön, die Sonne schien
hell durch die drei großen Fenster herein, die auf das Flußufer
gingen. Eines stand halb offen und ließ den frischen Luftzug von
der Seine hereinstreichen, der zuweilen die seidenen Fransen der
Vorhänge hob. Zerknüllte Papiere, die auf dem Teppich lagen,
rollten leise knisternd weiter.
»Sehen Sie das hier!« sagte Delestang, Rougon einen Brief
reichend, den er eben gefunden.
Rougon las ihn und verbrannte ihn ruhig an der Kerze. Es war ein
heikler Brief. Sie plauderten in abgerissenen Sätzen, unterbrachen
sich jeden Augenblick und versenkten die Nase wieder in die
Papierberge. Rougon dankte Delestang dafür, daß er gekommen, um ihm
zu helfen. Dieser »gute Freund« war der einzige, mit dem er ruhig
die schmutzige Wäsche seiner fünfjährigen Präsidentschaft waschen
konnte. Er hatte ihn in der gesetzgebenden Versammlung kennengelernt, wo beide auf derselben Bank
nebeneinandergesessen. Dort hatte er eine aufrichtige Neigung zu
diesem schönen Manne gefaßt, den er hinreißend dumm, hohl und
aufgeblasen fand. Er pflegte im Tone der Überzeugung zu sagen:
»Dieser verteufelte Delestang wird es weit bringen!« Er beförderte
ihn, erwarb sich seine Dankbarkeit und gebrauchte ihn wie einen
Kasten, worin er alles verschloß, was er nicht bei sich behalten
konnte.
»Man ist doch dumm, so viele Papiere aufzubewahren!« murmelte
Rougon, eine neue übervolle Schublade öffnend.
»Hier ein Brief von einer Frau!« bemerkte Delestang
augenzwinkernd.
Rougon lachte so herzlich, daß seine ganze breite Brust
erzitterte. Er nahm den Brief kopfschüttelnd; als er die ersten
Zeilen durchflogen hatte, rief er:
»Der kleine d'Escorailles hat es hier vergessen. Hübsche
Waschzettel! Man kommt weit mit drei Zeilen von Frauenhand!«
Während er den Brief verbrannte, fügte er hinzu:
»Hüten Sie sich vor den Weibern, Delestang, verstehen Sie?«
Delestang ließ den Kopf hängen. Er war immer in eine fragwürdige
Liebschaft verwickelt. Im Jahre 1851 hatte er sogar seine Zukunft
als Politiker auf das Spiel gesetzt, indem er die Frau eines
sozialistischen Abgeordneten liebte und öfter dem Manne zu Gefallen
mit den Gegnern der Regierung gestimmt hatte. Der zweite Dezember
traf ihn wie ein wahrer Keulenschlag. Er schloß sich zwei Tage lang
ein, verloren, vernichtet in dem Gedanken, man werde jeden
Augenblick kommen und ihn verhaften. Rougon hatte ihn aus der
Patsche ziehen müssen, indem er ihn bestimmte, bei den Wahlen nicht
aufzutreten, und ihn in das Elysee brachte, wo er für ihn eine
Staatsratsstelle erangelte. Delestang, der
Sohn eines Weinhändlers aus Berry, ehemaliger Advokat, der bei
Saint-Menehould eine Musterwirtschaft besaß, hatte mehrere
Millionen und bewohnte in der Kolosseumstraße ein sehr vornehmes
Haus.
»Ja, hüten Sie sich vor den
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