Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
möglichen
Dokumente, Rundschreiben, Briefe sowie Kontoauszüge aus dem Vatikan und
studierte sie nachts in seinem privaten Arbeitszimmer, neugierigen Blicken
entzogen. Nach vielen Fragen, auf die er keine Antworten fand, nach
Überraschungen, bitteren Erkenntnissen und Zweifeln, begann er schließlich
bewusster auszuwählen, gezielter, planvoller. Das Unbehagen, das er empfand,
veranlasste ihn mit der Zeit auch zu kritischen Äußerungen. Er schloss sich mit
ähnlich denkenden Menschen zusammen, die im Vatikan leben und arbeiten. So
entstand eine kleine Gruppe, deren Mitglieder zwar ganz unterschiedliche
Funktionen und Ämter in der Kurie innehaben, aber durch denselben Entschluss
vereint sind: zu dokumentieren, zu verstehen und Zeugnis abzulegen. Zu diesem
Zweck sammelten sie Dokumente, die auch interne Vorgänge, heikle Diskussionen
und Intrigen innerhalb der Kirche ans Licht bringen.
Der Schreibtisch Benedikts XVI.
All diese Papiere sind durch einen ebenso faszinierenden
wie nahezu unglaublichen Umstand miteinander verbunden: Sie stammen aus dem
Büro eines der mächtigsten und einflussreichsten Männer der Welt. Was Sie hier
zu lesen bekommen, sind geheime Dokumente, die Benedikt XVI. und seine beiden absolut loyalen
Privatsekretäre, Georg Gänswein und Alfred Xuereb, in den schwierigsten
Momenten des gegenwärtigen Pontifikats erhalten haben. Sie gingen aus dem
Staatssekretariat, den Nuntiaturen, von einzelnen Kardinälen aus aller Herren
Länder ein und landeten auf den Schreibtischen der Privatsekretäre und im persönlichen
Arbeitszimmer des Heiligen Vaters, im dritten Stock des Apostolischen Palastes
am Petersplatz.
Schon auf den ersten Blick offenbaren die Dokumente eines: Noch
heute werden in der Kurie vielfach bewusst Tatsachen verschwiegen. Immer noch
herrscht der Wille, keinen Vorfall öffentlich zu machen und alles im Keim zu
ersticken, was das Verhältnis zwischen Normalsterblichen, Gläubigen wie
Nichtgläubigen, und den Dienern Gottes belasten, was Fragen aufwerfen und
Zweifel wecken könnte. Die Worte Jesu, wie sie der Evangelist Matthäus
überliefert, sind ebenso klar und aktuell wie uneingelöst: »Was ich euch im
Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das
verkündet von den Dächern.« Worte der Hoffnung, mit denen ich bereits mein Buch Vatikan AG über die finanziellen Machenschaften des
Vatikans während des Pontifikats Karol Wojtyłas eingeleitet habe, die durch das
unerschöpfliche Archiv von Renato Dardozzi ans Licht gekommen sind. Unter dem
gegenwärtigen Papst scheint sich die Situation nicht verändert zu haben.
Und noch eine Wahrheit wird durch die Dokumente ans Licht gebracht:
Anders als immer wieder behauptet, ist Benedikt XVI.
keineswegs nur ein theologischer Dogmatiker, der mit den Problemen der
römischen Kurie und der Kirche insgesamt nichts zu tun haben möchte. Das Bild
eines Papstes, der sich allein dem Studium der heiligen Texte und den Aspekten
der Glaubenslehre widmet, entspricht nicht der Wirklichkeit. Joseph Ratzinger
ist und bleibt zwar ein kultivierter und sehr feinsinniger Wissenschaftler, ist
aber auch ein Seelsorger, der die neuralgischen Punkte des täglichen Lebens bis
ins Detail kennt und durchaus versucht, Veränderungen herbeizuführen. Dabei
stellen sich ihm immer wieder Hindernisse in den Weg. Sie reichen von den
großen strittigen Fragen unserer Zeit über den Umgang mit Skandalen innerhalb
der Kirche bis hin zu den Verfolgungen, denen Christen in verschiedenen Teilen
der Welt noch heute ausgesetzt sind. Benedikt XVI.
ist ein sensibler und tatkräftiger Papst. Er ist erfüllt vom Wunsch nach Licht
und Wahrheit, aber – nach Ansicht des Verfassers – zugleich unweigerlich
ein Gefangener von Kompromissen und jener »Staatsräson«, die jeden
Veränderungswillen lähmt. Ratzinger fordert ein ständiges »Aggiornamento«, eine
Reform aller Angelegenheiten, die die Kirche am meisten belasten. Zum Teil
greift er daher zu drastischen Maßnahmen, versucht aber gleichzeitig, zwischen
den verschiedenen Stimmen, die in der katholischen Kirche von Bedeutung sind,
zu vermitteln.
Die Privatgemächer Benedikts XVI.
sind Schauplatz einer Regierungstätigkeit, die die ganze Welt umspannt. Ein
schlichtes Büro, mit einem einfachen Bücherregal, tiefen kleinen Sesseln, dem
Holzschreibtisch, zwei Festnetztelefonen. Kein Handy. Das ist das Arbeitszimmer
Joseph Ratzingers, des 265. Papstes in der Geschichte der Kirche. Mehr
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