078 - Küss’ niemals Choppers Geisterbraut
Er kam am Abend nach Hause, wie immer um die gleiche
Zeit und wie immer regelmäßig an den Donnerstagen der Woche. Früher war Willi
Scharner auch an den anderen Wochentagen zu Hause gewesen. Doch seit er einem
Nebenjob huldigte, war das alles anders. Scharner war kräftig. Sein dunkles
Haar sah stets ungekämmt aus. Es war kurzgeschnitten und wuschelig. Das ließ
den Vierundvierzigjährigen jugendlicher und burschikos wirken.
»Hallo, Sonja!«, begrüßte er seine Frau, die ihm die
Wohnungstür öffnete. Er nahm die Gattin in den Arm und küsste sie. »Schön, dass
du da bist!« Sonja war vier Jahre jünger als ihr Mann und trug das brünette
Haar schulterlang und leicht gewellt. Die Frau lächelte nur flüchtig.
»Nanu? Sorgen?« Scharner merkte sofort, dass etwas
nicht stimmte.
»Ärger mit den Rabauken? Wenn’s so ist, knöpf’ ich mir
die beiden mal vor. Wahrscheinlich nutzen sie es eben aus, dass ich oft von zu
Hause fort bin.«
»Ja, auch das«, bemerkte seine Frau halblaut dazu.
»Ich werd sofort ein Wort mit ihnen reden und...« Er
unterbrach sich, als er den Sinn der Bemerkung erst jetzt voll begriff. »Auch
das... hast du gesagt?«, wiederholte er die letzten Worte seiner Frau. »Heh
Sonja? Was gibt’s denn noch?«
»Was Marion und Andreas betrifft, ist das im Moment
nicht so wichtig. Mit ihnen kannst du später sprechen. Sie sind beide nicht im
Haus. Die Freunde vom Sportverein treffen sich im Clubhaus... Wir sollten die
Zeit nutzen, um uns mal zu unterhalten.« Scharners Augen verengten sich. »Das
klingt geheimnisvoll. Was gibt’s denn?« Sonja Scharner atmete tief durch und er
sah, dass sie abweisend und kühl wirkte. »Hast du was?«, variierte er seine
Frage, mit der er seine Frau offensichtlich zu einer präziseren Stellungnahme bringen
wollte. Sie blickte ihn mit ihren braungrünen Augen fest an. »Wirst du ehrlich
zu mir sein, wenn ich dich was frage?«
»Sonja! Ich habe keinen Grund, dir nicht zu antworten.
Aber sag mir, was das alles bedeutet? Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals
so merkwürdig erlebt zu haben...«
»Bisher wird’s wohl auch keinen Grund dafür gegeben
haben...« Sie wandte den Kopf und ging voraus ins
Wohnzimmer. »Nun sag mir endlich, was du auf dem Herzen hast«, sagte er
unvermittelt und drückte die Wohnzimmertür ins Schloss. »Ich freue mich, nach
Hause zu kommen, und du empfängst mich mit einer Leichenbittermiene. Das passt
überhaupt nicht zu deiner anfänglichen Freundlichkeit und den Worten, dass du
dich über mein Kommen freust...«
Sonja Scharner wandte sich vom Fenster weg, an dem sie
stand, um auf die belebte Straße zu sehen. »Vielleicht habe ich auch versucht,
nur mal Theater zu spielen«, sagte sie eisig. »Nun schau mich nicht so an, als
wüsstest du nicht, wovon ich rede.«
»Aber ich weiß wirklich nicht...«
»Du spielst dein Theater noch immer recht gut. Aber
die Rolle, die du dir ausgesucht hast, wird die längste Zeit erfolgreich für
dich gelaufen sein. Machen wir’s kurz, reden wir nicht lange um den heißen Brei
herum: Seit zwei Wochen weiß ich, dass du mich betrügst!« Sonja Scharner
betonte jedes einzelne Wort. Sie wirkten wie Hammerschläge auf den Mann. Er
wurde weiß wie Kalk und schien zur Salzsäule zu erstarren.
»Sonja...«, kam es wie ein Hauch über seine Lippen,
und Willi Scharner trat kopfschüttelnd auf sie zu.
»Was redest du da? Das ist doch... Unsinn... Unfug,
das glaubst du doch selbst nicht, was du da sagst.« Da fing sie an zu zetern.
»Ich lerne dich von immer anderen Seiten kennen, die ich dir nicht zugetraut
hätte! Du lügst, und du bist ein Feigling! Es hat keinen Sinn mehr, dass du mir
noch weiter deine Rolle vorspielst. Ich weiß alles... alles, verstehst
du?« Sie schrie es heraus. Und Sonja schien es gleich zu sein, dass im Haus
noch mehr Leute wohnten, die den Streit nun zu hören bekamen. Er wollte auf sie
zugehen. »So beruhige dich doch, Sonja... Liebes... das ist ein Irrtum.«
»Ich habe Beweise! Komm keinen Schritt näher...« Die
Frau lief um den Tisch herum und brachte ihn zwischen sich und ihren Mann.
Willi Scharner reagierte überhaupt nicht. »Lass uns darüber reden, ganz
vernünftig...«
»Bleib wo du bist, oder ich schreie, dass das ganze
Haus zusammenläuft.« Sonja griff nach einem Aschenbecher, der auf dem niedrigen Couchtisch stand. Sie holte aus und warf. Die schwere
Glasschale flog auf Willi Scharner zu. Der Mann bückte sich, und der Gegenstand
sauste über ihn
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