Seitensprung ins Glück
im Hintergrund. In Gedanken ist sie zur Hälfte bei Good Morning America und zur anderen Hälfte bei mir, ihrer unglücklichen Tochter, die erneut in einem leeren Bett aufgewacht ist und sich gerade fertig macht, um den »Einfaltspinseln«, wie sie sie nennt, beizubringen, wie man im Supermarkt SaveWay von Ronkonkoma Lebensmittel in Tüten packt.
»Das Abendessen gestern war sehr nett«, flötet meine Mutter. »Pulkowski hat es richtig leidgetan, dass er nicht dabei war.«
Darauf erwidere ich nichts, denn ich glaube nicht ernsthaft, dass mein Vater zum Essen kommen wollte. Wäre er mitgekommen, hätte er auch etwas sagen müssen. Und mein Vater hat schätzungsweise seit der Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigern keinen ganzen Satz mehr gesagt. Es ist fast schon peinlich, wirklich. Meine Eltern sind ein lebendes Stück Geschichte, und ich war ihr New Deal, in letzter Minute sozusagen. Ich bin der einzige Mensch, den ich kenne, dessen Vater noch im Zweiten Weltkrieg war. Zugegeben, er war erst siebzehn, als er sich 1944 freiwillig meldete, und er verschwieg bei der Rekrutierung sein wahres Alter, aber trotzdem ist er heute alt.
»Rosie? Bist du noch dran?«
Ich bin erst halb angezogen. Ich bin müde, schlecht vorbereitet und habe gleich einen Termin wegen der Fortschritte meines liebsten Schützlings, Milton Beyer.
»Ich muss los«, erkläre ich meiner Mutter. »Hab gleich einen Termin im SaveWay.«
»Einer von deinen kleinen Einfaltspinseln?«, fragt sie unschuldig.
»Ma, diese Leute sind Menschen mit einer geistigen Behinderung .«
»Hmm«, schnaubt sie. »Nächste Woche wirst du sie wieder anders nennen. Dann sind diese Leute, wenn sie morgens aufwachen, aber immer noch Einfaltspinsel.«
»Mag ja sein, aber es ist eben nicht nett, jemanden, der berufstätig ist und sich nützlich macht, Einfaltspinsel zu nennen.«
»Genau wie es nicht nett ist, dich und mich als Mädels zu bezeichnen. Was sind Frauen denn sonst? Etwa Jungs?«
»Ich bin spät dran«, erkläre ich ihr. Ich klemme mir den Hörer unters Kinn, um meinen Rock hochzuziehen. »Ich muss los.«
»Willst du zum SaveWay von Ronkonkoma? Wo dieser nette neue Geschäftsführer arbeitet? Ich liebe diesen Geschäftsführer, Rosie. Der ist es wert, dass man den anderen Supermarkt, den Pathmark, links liegen lässt und die paar Meilen mehr fährt. Außerdem hat er immer frische Ware.«
Sie redet von Mickey Hamilton, Miltons Chef. Sie scheint auf ihn zu fliegen. Soll heißen, sie findet, ich sollte ihn heiraten. Meine Mutter hat schon immer ein Faible für die Romanzen anderer gehabt.
»Ich muss jetzt zur Arbeit«, sage ich noch einmal.
»Ja, irgend jemand muss ja wohl diesen Riesenfernseher bezahlen, den dein Mann sich angeschafft hat.«
Jetzt spielt sie auf den Breitbildfernseher an, der unser kleines Wohnzimmer aussehen lässt wie eine grell ausgeleuchtete Sportkneipe. Ich wusste doch, dass er ihr gestern Abend nicht entgangen ist. Ich hatte auch nicht gewollt, dass Teddy ihn kauft. Er ist laut, vulgär und nimmt zu viel Raum ein. Wie riesig muss das »Vorher«-Gesicht bei einer dieser VorherNachher-Sendungen denn noch sein, hatte ich ihn gefragt, als er ihn zum ersten Mal eingeschaltet hatte. Damit wir kapieren, dass diese Person jede Menge teurer Schönheits-OPs braucht? Er hatte mich nur verständnislos angesehen. Sein Hirn war von all den Beiträgen über Brustvergrößerungen, Viagra und Toyotas schon völlig vernebelt.
»Weißt du«, erkläre ich meiner Mutter, »die Sache mit Teddy setzt mir auch so schon genug zu, ohne dass du noch darauf herumreitest.«
»Entschuldige, Schätzchen. Ich ärgere mich ja nicht über dich, nur über deinen Mann.«
»Dann versuch wenigstens zu berücksichtigen, dass er eben genau das ist: mein Mann.«
Meine Mutter schweigt. Sie weiß, dass es lächerlich ist, was ich gerade gesagt habe. Teddy ist von nun an genauso wenig mein Mann wie sie.
»Manche Menschen sind einfach nicht besonders gut darin, einen geeigneten Partner zu wählen, Rosie«, sagt meine Mutter sanft. »Sogar ganz und gar vernünftige Leute haben diesbezüglich manchmal Probleme.«
Mit einer ungeduldigen Bewegung schlüpfe ich in den Schuh. »Es reicht«, sage ich.
»Eines Tages wird ein Mann kommen, der dich so liebt, wie du es verdient hast …«
»Es reicht!«, rufe ich. Und dann tue ich es. Ich lege auf, auch wenn ich später dafür bezahlen werde.
Ich atme tief durch und versuche, mich auf Milton zu konzentrieren. Sein Termin ist in
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