Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
genau, wie er es geschnitten haben möchte. Seine Worte kann ich nicht hören, aber den Cocktail aus Brillanz und Tyrannei riechen, den er im Versuch, uns alle auf sein Niveau zu zerren, einsetzt. Er weiß ganz genau, was er will, und wehe dem, der das nicht liefern kann. Seine brutale Art und seine Arroganz stoßen mich noch immer ab, doch sie fesseln mich auch. Vermutlich kann ich froh sein, bisher nur mit sieben Worten bedacht worden zu sein: Ich weiß, dass ich, einfach weil ich so nervös bin, pfusche und an Aufgaben scheitere, die ich sonst im Schlaf beherrsche. Alles fühlt sich so fremd an.
»Erde an Amber!«, schreit Mike und wedelt mit seinen Schweißhänden vor meinem Gesicht herum. »Wo verdammt sind die Brassen? Fangen Sie die selbst?«
Ich habe in diesen letzten zwei Stunden wie ein Roboter Fische ausgenommen, aber ich weiß mich zurückzuhalten. »Die liegen genau hier«, sage ich und achte darauf, dass sie perfekt für seine Pfanne vorbereitet sind. Entgegen der allgemeinen Auffassung kocht in Etablissements wie diesem nicht der Chefkoch: Oscar fiele es nicht im Traum ein, sich an einem Samstagabend einer Pfanne zu nähern. Er ist der Torhüter, der am Durchgang steht und jedes Gericht kontrolliert, das nach draußen geht. Im Moment steht er vor einem Teller mit Lammnieren, die er so argwöhnisch mustert wie ein Antiquitätenhändler, dem man eine krumme Mingvase angeboten hat.
»Was stimmt damit nicht?«, will er von Joe wissen, dem unglücklichen Chef de Partie, der sie ihm dargebracht hat.
Ich kriege das verzweifelte Flackern von Joes Augen mit, als er sich eine Antwort auszudenken versucht. Wenn er es wüsste, hätte er den Teller natürlich nie aus der Hand gegeben, aber das ist nicht die richtige Antwort. Oscar mustert ihn, die blauen Augen kalt und todbringend. Sein straffer Körper zuckt vor aufgestauter Anspannung. Der flirrende Hitzedunst, der ihn ständig umgibt, ist fast greifbar.
»Haben Sie sich einfach nur freigenommen, oder sind Sie ein wenig zurückgeblieben?«, schreit Oscar ihn unbeeindruckt von seinem Schweigen an. »Sehen Sie sich die verdammte Petersilie an! Die sieht aus, als hätte ein Tornado drüber hinweggefegt.« Er knallt den Teller so hart auf den Tresen, dass es mich wundert, dass er nicht zerbricht. »Wir sind nicht mehr in Kansas, Joe-Joe, gehen Sie zurück an Ihren Platz und fangen Sie noch mal von vorn an. Ich werde nicht zulassen, dass diese Missgeburt mit meinem Namen darauf nach draußen geht.«
»Jawohl, Chef. Tut mir leid, Chef«, murmelt Joe und zieht sich mitleiderregend zurück. Man kann fast darauf wetten, dass seine Station mindestens eine Woche lang für diese Demütigung wird zahlen müssen. Ich wage es, Michelle mit einem kurzen Augenrollen anzusehen, bevor wir unsere Aufmerksamkeit wieder dem öligen Fischberg zuwenden.
»Tisch drei hat dreimal die Forelle spezial bestellt. Beeilt euch!«, schreit Maya.
»Es sind nur noch zwei übrig«, schreie ich zurück und laufe durch die Küche auf der panischen Suche nach einem weiteren Exemplar, das sich möglicherweise verirrt haben könnte.
»Wieso zum Teufel haben Sie mich nicht gewarnt?«, knurrt sie.
»Ich habe es Mike gesagt, der sollte es dem Bedienungspersonal melden.«
Das war taktisch falsch, denn es klang ganz danach, als wollte ich den schwarzen Peter jemand anderem zuschieben, aber ich hatte diese wichtige Information tatsächlich weitergegeben. »Verdammt noch mal!«, blafft Maya und stürmt davon, während ich meine vergebliche Suche nach einem einzelnen Fisch fortsetze. Als ich vor dem Kühlschrank hocke, befördert mich die Schwingtür fast in die Bewusstlosigkeit, als einer der Kellner hindurchprescht. Ein wenig benommen erhebe ich mich und erhasche einen der seltenen Blicke auf den Gastraum. Ist das wahr, kann das sein?
O mein Gott, es ist Tristram Fawcett. Ein Restaurantkritiker mit spitzer Feder und anspruchsvollem Gaumen, der kürzlich abgeworben wurde und vom Independent (hoch angesehen, kleine Auflage) zur Sunday Times (Wahnsinnsauflage, eine schlechte Kritik kommt einer Massenvernichtungswaffe gleich) gewechselt hat, doch keiner hat bemerkt, dass er an Tisch drei sitzt. Lydia wäre es sicherlich aufgefallen, aber sie hat sich einmalig ein Wochenende freigenommen (in der Küche munkelt man, es sei was Anzügliches). Ich selbst weiß nur, dass es Fawcett ist, weil er regelmäßiger Gast in meinem alten Laden in Richmond war: Er liebte die einfache, unprätentiöse Küche, die
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