Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
Distanz. Manchmal kommt mir mein ganzes Leben vor wie eine Kostümierung, als säße ich mit einer Horde lockerer Typen auf einer gruseligen Halloweenparty fest, von denen keiner bereit ist, mir ein Taxi zu rufen. Die Party hat kein Ende, ein Nach-Hause-Gehen gibt es nicht.
Hör auf, weise ich mich scharf zurecht, mit Milly zusammen zu sein hat nichts Gruseliges. Die liebe Milly, ich bin ihr so dankbar, dass sie mich bei sich aufgenommen hat, dass ich zu ihr in die Wohnung kommen kann. Und das nicht auf burschige lesbische Weise, verstehen Sie, sondern weil man Freundschaften nur schlecht pflegen kann, wenn man Arbeitszeiten hat wie ich. Der Versuch, die letzten drei Monate in drei Stunden bei drei Gläsern Wein durchzuhecheln, ist eher ein Partyspiel als eine bedeutungsvolle soziale Interaktion, weshalb der tägliche Kontakt zu Milly für mich lebensnotwendig ist, um zu spüren, dass es neben der Arbeit auch noch ein Leben gibt. Ohne dies hätte ich nun, da Dom aus meinem Leben ist, wohl nicht gewusst, wie sich Intimität anfühlt.
»Können wir uns jetzt vielleicht mal Oscar Retford widmen?«, will Milly wissen. »Es ist schon fast kriminell, wie männlich er ist, findest du nicht?«
» Männlich sind sie alle«, erwidere ich zynisch und denke an die Horde voller Größenwahnsinniger, die auf der ganzen Welt das Küchenzepter schwingen. Wie etwa im Park Hotel, wo ich gekocht habe und wo der mit Koks zugedröhnte Trunkenbold von einem Chef sich nichts dabei dachte, auf jeden, der das Pech hatte, ihm in die Quere zu kommen, mit einer Bratpfanne zu zielen. Oder der Möchtegernsternekoch, der einen Untergebenen aus einer gereizten Laune heraus wegen einer geronnenen Sauce hollandaise (oder einer Fischsuppe – was es auch war, es war ihm definitiv wichtiger als der Weltfrieden) mit einem heißen Messer gebrandmarkt hat.
»Nein, aber er sieht entschieden gut aus. Ich bin mir sicher, dass in einer Ausgabe von Harper’s Bazaar was über ihn steht. Recherche kann nicht schaden.«
»Du hast recht, aber mir ist alles bekannt, was wichtig ist. Wie etwa die Tatsache, dass er mehr oder weniger im Alleingang für das Violet den zweiten Stern geholt hat.«
»Ich dachte, das war im Restaurant von Angus Torrence?«
»Ja, war es, aber es war alles Oscars Verdienst.«
Oscar trennte sich vor etwa einem Jahr von seinem medienwirksamen Mentor, dessen Kochkunst von seinen zahlreichen Strafvermerken und Fernsehauftritten in den Schatten gestellt wurde. Torrence war alles andere als begeistert, derart sitzengelassen zu werden, zumal er Oscar für seine letzte im Fokus der Öffentlichkeit stehende Restauranteröffnung als Hauptattraktion vorgesehen hatte, worüber ein erbitterter Gerichtsstreit entbrannte, der damit endete, dass Oscar schließlich seine Freiheit gewann. Das Ergebnis davon ist das Ghusto, das er vor ein paar Wochen eröffnet hat. Zurzeit bin ich Souschef (stellvertretende Küchenchefin mit einer Heerschar von Juniorköchen, die nach meiner Pfeife tanzen) in einem reizenden, bodenlos biederen Bistro im grünen Richmond. Wenn ich es schaffte, bei dieser angesagten Neueröffnung ganz unten anzufangen, könnte dies meinen Aufstieg in eine völlig neue Liga bedeuten. Deshalb bin ich fest entschlossen, mich für einen Chef de Partie zu bewerben, eine untergeordnete Stellung, in der ich zuletzt vor gut drei Jahren tätig war.
»Es kann nicht schaden, auch über den Klatsch Bescheid zu wissen«, sagt Milly.
»Du hast ja recht, du hast ja recht, ich weiß, dass du recht hast«, zitiere ich aus Harry und Sally , meinem immer gültigen Lieblingsfilm.
»Ich sehe mal nach, ob ich’s finde«, sagt sie und hält dann inne, um das Chaos in meinem Schlafzimmer in sich aufzunehmen. »Soll ich dir hierbei zur Hand gehen, meine Liebe? Wenn wir gründlich Ordnung machen, wird es in Null Komma nichts annähernd bewohnbar sein.«
»Ach, keine Sorge«, murmele ich und schäme mich meines Elends. Es sieht mir nämlich so gar nicht ähnlich: Mein Küchenplatz ist wie ein Laboratorium, wo die Öle und Gewürze mit wissenschaftlicher Präzision aufgereiht stehen. Ich muss langsam akzeptieren, dass ich jetzt hier lebe. »Ich kümmere mich darum, das verspreche ich dir.«
»Versteh das bitte nicht als Kritik.«
»Nein, weiß ich doch.«
Sie lächelt mich einfühlsam an und geht dann, um die Zeitschrift rauszukramen. Ich kann nur hoffen, dass es gut geht, wenn aus besten Freundinnen Vermieterin und Mieterin werden. Doch sie kann nichts
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