Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
den er so an ihr mochte und den Blazer. Er suchte seinerseits nach einer Parkbucht, fuhr noch ein Stückchen geradeaus und hielt ebenfalls an. Ein kurzes Verstellen des Seitenspiegels genügte, um den Eingang der Reinigung im Blick zu haben. Die Klimaanlage verteilte noch immer angenehm kühle Luft im Fahrzeug. Trotzdem spürte er, wie er wegen des Zwischenstopps unsicher geworden war. Er mochte es nicht, wenn etwas Ungeplantes geschah. Etwas Ungeplantes brachte Verwirrung, ließ Situationen entstehen, denen er sich nicht gewachsen fühlte. Immer wieder sagte er sich, dass es nicht an ihr gelegen hatte. Er hatte die Reinigung vergessen, nicht sie. Er wollte es ihr nicht nachtragen, wenngleich ein kleines Gefühl der Verärgerung blieb, das er nicht zu ignorieren vermochte. Aber, so sagte er sich, um sich selbst zu beruhigen, sie kümmerte sich um alles, genauso, wie es sein musste. Morgens fuhr sie pünktlich zur Arbeit, ihre Mittagspause verbrachte sie oft in dem kleinen Park gegenüber der Steuerkanzlei, meistens allein. Manchmal war leider diese plumpe, viel zu dicke Kollegin dabei. Es gefiel ihm nicht, wenn sie ihre Zeit mit dieser Frau verbrachte, doch konnte er es ihr nicht verbieten. Noch nicht. Doch trotz dieser kleinen Schwäche war er sicher, sie könnte die eine sein. Die eine gute Mutter. Denn sobald sie Feierabend hatte, fuhr sie zum Einkaufen, wenn nicht, wie heute, noch ein Gang in die Reinigung anstand. Sie kochte jeden Tag für sich und ihren Mann, und immer gab es auch Gemüse oder Salat als Beilage, des Öfteren sogar beides. Der kleine geschützte Platz zwischen den Rhododendronbüschen, von dem aus er ihr so oft zugesehen hatte, wenn sie die Zwiebeln würfelte, Kartoffeln schälte oder auf dem Herd die Soße anrührte, war ihm ein vertrauter Ort geworden. Er seufzte bei dem Gedanken, nicht wieder dorthin zurückzukehren. Doch er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren, und da hieß es nun einmal zu testen, ob sie die eine war, die eine gute Mutter. Ja, das könnte sie sein. Er würde herausfinden, ob das der Wahrheit entsprach. Nicht mehr lange, und der große Moment würde gekommen sein. Endlich. Im Spiegel sah er, wie sie das Geschäft mit den gereinigten Kleidungsstücken wieder verließ und in ihren Polo stieg. Einen Moment danach fuhr sie an ihm vorbei. Er stellte seinen Spiegel wieder in die richtige Position, ließ den Motor an und folgte ihr mit einigem Abstand. Zehn Minuten später erreichte sie die Einfahrt des Supermarktes, bog ein und parkte ihren Wagen. Er lächelte zufrieden und hielt ein Stück von ihr entfernt an, legte den ersten Gang ein, drehte den Schlüssel und zog ihn ab. Hier hatte er sie das erste Mal gesehen. Eine Decke war von den Beinen des kleinen Kindes gerutscht, das schlafend in der Karre lag. Sie hatte sich gebückt, die Decke aufgehoben, sie der Mutter gereicht und einen Blick auf das schlafende Kind geworfen. Wie gebannt hatte er es beobachtet. Diese Liebe und Sorgsamkeit, das Lächeln, das beim Anblick des Kindes ihr Gesicht erhellte. Er hatte es gewusst, viel mehr als jemals zuvor. Doch er wollte sichergehen, ob sie am Ende nicht doch eine von denen war, die trotz des sich langsam wölbenden Bauches die Bekanntschaft von Männern suchte, eine Schlampe, eine Hure, die von vornherein ungeeignet war und niemals eine richtige Mutter sein würde – ganz gleich, wie viele Kinder sie gebar. Ein Miststück, das sich nie genug um ihr Kind kümmern würde, ihm nie die ganze Aufmerksamkeit schenken, es nie an die erste Stelle in ihrem Leben setzen und hierfür selbst in den Hintergrund treten würde. Nein. Sie war anders, sie musste es sein. Ihre Augen hatten es ihm verraten. Nie zuvor hatte er es so stark empfunden. Für einen Moment senkte er die Lider, löste dann mit einem Ruck den Sicherheitsgurt und öffnete die Autotür. Rasch folgte er ihr und betrat kurz nach ihr den Einkaufsmarkt. Verstohlen beobachtete er sie, sah auf jeden Artikel, den sie in ihren Wagen legte. Als sie langsam zu den Drogerieartikeln schlenderte, beschleunigte er seinen Schritt, nahm sich einen Schokoriegel und legte ihn auf das Kassenband. Die Frau vor ihm unterhielt sich vergnügt mit der Kassiererin, während sie die Waren in einer Plastiktüte verstaute. Unauffällig drehte er sich um und stellte zufrieden fest, dass auch sie gleich ihren Einkauf erledigt haben würde. Alles war wie immer. Die Drogerieabteilung war stets ihre letzte Einkaufsstation. Nur einmal hatte sie vergessen,
Weitere Kostenlose Bücher