Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
blöderweise »ins Messer gerannt«? War es ein dummer Zufall, dass die Mutter vom Schlafpulver leider ein wenig zu viel abbekommen hat? Das Pulver war immerhin von Mephisto! Also ist doch der schuld. Oder ist Faust einfach zu wenig abgegrenzt von Gretchens Problemen? Es war immerhin ihre Entscheidung, mit ihm zu schlafen, ihre Entscheidung, das Kind zu töten, ihre Entscheidung, sein Fluchtangebot nicht anzunehmen! Was Faust jetzt wirklich nicht weiterhilft, sind lästige Schuldgefühle. Die fühlen sich einfach nicht gut an …
Es ist hochproblematisch, wenn die Psychotherapie »physiologische« Schuldgefühle wegerklärt und damit pathologisiert – und so den Weg zu einer Besserung verstellt. Denn Besserung erfordert eine Kehrtwendung des ursprünglich eingeschlagenen Lebenswandels. Man könnte auch von psychodynamischer »Umkehr« sprechen. Das Wort »Umkehr« bedeutet ein Innehalten auf dem Weg, ein Besinnen, das Erkennen, dass man falsch unterwegs war und sich neu orientieren, die Richtung wechseln oder aktiv zurückgehen sollte. Denken wir etwa an einen aggressiven, rücksichtslosen Ehemann, der durch irgendeine Einsicht oder ein einschneidendes Erlebnis plötzlich beginnt, seine Frau wieder zu achten und zu ehren. Eine solche Änderung, die ihm und seiner Frau guttäte, setzt die Erkenntnis und Einsicht in die begangene Tat voraus und die Selbstbeurteilung als Schuld.
Wie wir bei Faust und seinem Gretchen sehen, ist es tatsächlich schmerzhaft, Mist zu bauen. Schmerzhaft für sich, und schmerzhaft für andere. Die Psychotherapie ist dazu da, jeden psychischen Schmerz zu lindern – prinzipiell auch den Schmerz der Schuld. Aber manchmal schüttet sie das Kind mit dem Bade aus, indem sie schmerzlindernd das Böse gut nennt und den Mist, den wir gebaut haben, in ihrer Hilflosigkeit zu Gold umdeutet. Mit dieser Zementierung der Vermeidenshaltung steigert sie aber noch die Angst vor der Fehlerhaftigkeit. Das ist zu billig – weil dem Menschen nicht gemäß. Damit bleibt die verdrängte Schuld im Unbewussten und beginnt ein Eigenleben.
So manche Psychotherapie hat aufgrund ihres Weltbilds gar keinen Platz für so etwas wie reale Schuld. So kann der Therapeut zum Täter werden. Die oben beschriebene Umkehr wird nämlich durch ein Erklärungsmodell, das keine Schuld kennt, vielfach verunmöglicht. Gríma Schlangenzunge, der engste Ratgeber von König Théoden von Rohan, lullt in »Der Herr der Ringe« von J. R. R. Tolkien seinen König mit psychotherapeutischen Weisheiten ein. Er paktiert – wie wir wissen, aber nicht der König – im Geheimen mit dem gemeinen Zauberer Saruman und paralysiert mit seinen Interventionen ein ganzes Königreich. Dem König redet er zunehmend Krankheiten ein, die sich angeblich nur dadurch heilen lassen, dass Théoden sich nicht mehr von seinem Thron wegbewegt, Licht und frische Luft vermeidet und die anstrengenden Staatsgeschäfte seinem treuen Diener Gríma überlässt. Das führt so weit, dass Théoden mit seinen Marschällen nicht mehr selbst spricht, sondern seinen Willen nur noch durch Gríma kundtun lässt. Psychotherapeuten können in der Tat ihre Klienten in ungesunder Weise an sich binden, wenn sie sie in der Fremdbeschuldigung bestärken und in der Opferrolle fixieren. Therapiestunde für Therapiestunde wird dann über Monate und Jahre wiedergekäut, wie gemein die anderen sind. Und wie arm man selbst. Zunehmend verarmen dadurch die Beziehungen, Ehen gehen in die Brüche, und nichts ändert sich am Leidenszustand.
In der Psychotherapie geht es natürlich nicht darum, dass der Therapeut als eine Art moralischer Schiedsrichter zwischen Gut und Böse unterscheiden soll. Das wäre eher die Aufgabe eines Seelsorgers, der hilft, die moralischen Normen auf die konkrete Situation anzuwenden. Aber die Realität der Schuld, unter der der Mensch auch psychisch leidet, darf in der Therapie nicht ausgeklammert werden. Es ist nicht die Aufgabe des Psychotherapeuten, jemandem Schuld zuzuweisen. Aber genauso wenig ist es seine Aufgabe, jemanden von seiner Schuld freizusprechen, zu exkulpieren.
Es ist bekanntlich ein unzulässiger Übergriff, wenn der Therapeut seine eigenen Werte dem Patienten aufdrängt. Aber genauso schlimm ist es, wenn er die ethischen Werte des Klienten durch Pathologisierung relativiert und damit den Hilfesuchenden selbst ent-wertet. So nach dem Motto: »Wenn Sie beim Ehebruch ein schlechtes Gewissen haben, ist das das Problem Ihres unflexiblen
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