Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
war von Natur aus lustig, und einmal zum Lachen gebracht, lachte sie lautlos, so lange, bis ihr übel wurde, ihr ganzer Körper wogte und bebte. »Und haste dabei viel Geld zusammengedacht?«, brachte sie schließlich hervor.
FALL 10: Eine junge Patientin erzählt von ihrem Vater, einem grün-alternativen Hardliner. Ständig liege er der Familie wegen des Ozonlochs und der geschlachteten Robbenbabys in den Ohren, wegen des Treibhauseffekts, der Erderwärmung, der Atomkraftwerke und natürlich der Umweltverschmutzung. Häufig nötige er sie fast, auf eine Demonstration mitzugehen. Er habe aber eine große Schwäche, unter der er selbst sehr leide: die Leidenschaft für schnelle Autos! Die passe nun leider nicht so gut in sein Weltbild. Jetzt habe er das Familienbudget maßlos überzogen und einen gebrauchten, schnellen Sportwagen gekauft. Mit unheimlichem Spritverbrauch! Zuerst habe er das vor Frau und Tochter geheim halten wollen. Von seiner Frau zur Rede gestellt, wie das mit seinen endlos gepredigten Prinzipien in Einklang zu bringen sei, habe er gemeint, er habe das in erster Linie getan, weil er damit weniger oft unterwegs sein würde als andere. Er schütze damit also auf seine Weise die Umwelt.
ANALYSE: Selbstbetrug ist nur für den Selbstbetrüger selbst schlüssig. Man sieht, was man eben sehen will. Man übersieht aber, dass man für seine Umgebung durchschaubar bleibt.
Freilich machen solche Menschen mit ihren nicht gerade glücklichen Charaktereigenschaften auch andere unglücklich. Etwa als Partner, der die Schuld immer nur beim anderen sucht. Häufig kommen Frauen in die Praxis und klagen, dass ihre Männer nicht den geringsten Fehler zugeben könnten, sich für perfekt hielten und Unzulänglichkeiten immer nur beim anderen sähen. Das ist eine partnerschaftliche Katastrophe.
Das Komische und durchaus Amüsante am Phänomen des Selbstbetrugs ist es, dass ihn jeder durchschaut – außer man selbst. Selbstbetrüger sind besonders gut darin, andere zu durchschauen. Hier kommt jetzt wieder Raskolnikow zu Wort, wie er über seine Mutter und seine Schwester herzieht: »Nicht genug damit, wir legen uns eine spezielle Kasuistik zurecht, wir gehen bei den Jesuiten in die Schule, beschwichtigen vorübergehend uns selbst und reden uns ein, dass es so sein muss, dass es für den guten Zweck tatsächlich so sein muss. So sind wir eben, und alles ist sonnenklar.«
Selbstbetrug ist, wenn Menschen das, was sie schlecht machen, »gut« nennen: Man macht aus einem Defekt eine Tugend. Sie sagen nicht »Ich bin egoistisch«, sondern: »Ich habe einen starken Willen und gehe meinen Weg.« Solange Menschen ihr Problemverhalten gut nennen, können sie sich nicht ändern.
Ein gewisses Maß an Selbstbetrug ist uns allen eigen. Und jeder kann seinen Selbstbetrug reduzieren, indem er Kritikern Gehör schenkt, oder den Selbstbetrug vertiefen, indem er kritische Stimmen zum Verstummen bringt. Der klassische Selbstbetrüger – perfektionistisch, narzisstisch oder ichhaft – wird zunehmend beratungsresistent und beziehungsunfähig. Deswegen ist er häufig einsam. Zum einen, weil ja alle anderen blöder seien als er selbst – nach der Selbsterhöhung kann man auf die anderen nur mehr herunterschauen. Vor allem aber, weil man sich irgendwann abwendet von Menschen, die nicht authentisch sind, immer nur bluffen, sich nicht schenken können und sich besser dünken als all die anderen. Selbstbetrüger erleben also häufig, dass sie irgendwann links liegengelassen werden, sich zunehmend isolieren und schließlich verbittern. Fritz Künkel beschreibt diese Vereinsamung, die der Betroffene oft als einziges Symptom wahrnimmt: »Außerdem bildet die Vereinsamung insofern eine Ausnahme unter den Erscheinungen der Ichhaftigkeit, als sie unmittelbar und unverfälscht ins Bewusstsein tritt, während die anderen Symptome meist durch mancherlei Selbsttäuschung bis zur Unverständlichkeit entstellt werden. In der Vereinsamung aber liegt alles klar zutage.«
FALL 11: Johanna S., eine 30-jährige Schauspielerin, kommt in die Praxis, weil sie sich so schwer konzentrieren könne. Und weil sie sich mit ihrem Freund, ihrer Mutter und ihren zwei Geschwister streite. Und außerdem mit ihren Arbeitgebern. Zwei Stunden vergehen mit den Detailschilderungen. Ihr Problem sei, dass sie im Konflikt immer sich selbst die Schuld gebe, weil sie so konfliktscheu sei. Ihre beiden Geschwister und ihre Mutter seien starke Persönlichkeiten, die sich mit
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