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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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geglückt. Ich werde es auch nicht mehr lernen.
    Darum lasse ich mir von einem jungen Bürschchen in weißem Kittel aber noch lange nichts vormachen. Wendts Geschichte war faul. Wo war die Polizei geblieben? Eine junge Frau ist seit drei Monaten im Psychiatrischen Landeskrankenhaus, stürzt aus dem schlecht gesicherten dritten Stockwerk, und niemand denkt an fahrlässige Tötung oder Schlimmeres und holt die Polizei? Gut, Wendt hatte nicht gesagt, daß die Polizei nicht dagewesen wäre und ermittelt hätte. Aber er hatte nur Krankenwagen erwähnt, nicht Polizeiwagen. Und wenn am Dienstag die Polizei zugezogen worden wäre, hätte Salger spätestens am Donnerstag Bescheid gehabt, falscher Name hin oder her. Daß es Frau Wie-auch-immer nicht gibt, daß aber Leonore Salger vermißt wird und daß also Frau Wie-auch-immer in Wahrheit Leonore Salger ist – das herauszufinden braucht die Polizei nicht lange. Und wenn Salger am Donnerstag Bescheid gehabt hätte, hätte er mich doch wohl inzwischen benachrichtigt.
    Ich aß in Sandhausen zu Mittag. Kein kulinarisches Mekka. Als ich nach dem Essen in meinen Kadett stieg, den ich auf dem Marktplatz in der Sonne geparkt hatte, stand drinnen die Hitze. Es wurde Sommer.
    Um halb drei war ich wieder im Krankenhaus. Mir ging’s wie dem Hasen mit dem Igel. Die Sachbearbeiterin in Zimmer 107, ein anderes Gesicht als am Morgen, ließ nach Dr. Wendt suchen, konnte ihn aber nicht finden. Schließlich zeigte sie mir den Weg zur Station, über weite und hohe Gänge, in denen die Schritte hallten. Dort war Dr. Wendt erst recht nicht zu sprechen, die Schwester bedauerte. Übrigens müsse ich vorne in der Verwaltung warten, hier auf der Station zu warten sei gegen die Vorschrift. In der Verwaltung drang ich bis zum Vorzimmer von Direktor Prof. Dr. H. Eberlein vor und erklärte der Sekretärin, der Herr Direktor wolle mich sicher empfangen, lieber mich als die Polizei. Ich hatte eine ziemliche Wut im Bauch. Die Sekretärin sah mich verständnislos an. Ich möge mit meinem Anliegen in Zimmer 107 vorsprechen.
    Als ich wieder auf dem Gang stand, öffnete sich die nächste Tür. »Herr Selb? Eberlein. Sie machen Ärger, höre ich.«
    Er war Ende fünfzig, klein und dick, zog das linke Bein nach und stützte sich auf einen Stock mit silbernem Knauf. Unter schütterem schwarzem Haar und dichten schwarzen Brauen musterte er mich aus tiefliegenden Augen. Die Tränensäcke und die Backen hingen schlaff. In näselndem Schwäbisch kommandierte er mich an die Seite seiner hinkenden Gemütlichkeit. Auf dem Weg schlug der Stock Synkopen.
    »Jede Anstalt ist ein Organismus. Hat ihren Kreislauf, atmet, nimmt auf und scheidet aus, hat Infekte und Infarkte, entwickelt Abwehr- und Heilungskräfte.« Er lachte. »Was sind Sie für ein Infekt?«
    Wir gingen die Treppe hinunter und hinaus in den Park. Die Wärme des Tages war schwül geworden. Ich sagte nichts. Auch er hatte beim langsamen Herabsteigen der Stufen nur schwer geschnauft.
    »Sagen Sie was, Herr Selb, sagen Sie was. Sie wollen lieber hören? Audiatur et altera pars – Sie halten’s mit dem Recht? Sie sind so was wie das Recht, nicht wahr?« Er lachte wieder, ein behäbiges Lachen.
    Die Steinplatten endeten, und unter unseren Füßen knirschte der Kies. Der Wind rauschte in den Bäumen des Parks. Am Rande der Wege standen Bänke, auf dem Rasen Stühle, und viele Patienten waren draußen, einzeln oder in kleinen Gruppen, mit und ohne weißbekitteltes Personal. Eine Idylle – bis auf den zuckenden und hüpfenden Gang einiger Patienten, bis auf die blicklosen Gesichter mit den offenen Mündern anderer. Es war laut; gegen den alten Bau hallte das Gewirr von Rufen und Lachen wie das unverständliche, undurchdringliche Sirren der Stimmen in einem Hallenbad. Manchmal nickte oder grüßte Eberlein nach links und rechts.
    Ich versuchte es. »Gibt es hier zwei Seiten, Herr Dr. Eberlein? Eine Unfallseite und eine andere? Und was ist die andere – fahrlässige Tötung? Oder hat jemand Ihre Patientin umgebracht? Sie sich selbst? Wird hier was vertuscht? Dazu würde ich gerne etwas hören, aber meine Fragen scheinen niemanden zu interessieren. Jetzt kommen Sie und reden von Infekten und Infarkten. Was wollen Sie mir sagen?«
    »Ich sehe, ich sehe. Mord und Totschlag, mindestens Selbstmord. Sie lieben den dramatischen Effekt? Sie denken sich gerne etwas aus? Wir haben viele hier, die sich gerne etwas ausdenken.« Er beschrieb mit dem Stock einen großen

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