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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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uns sein Schäufelchen Erde ins Grab, und der Pfarrer gab uns allen die Hand. Ein junges Bürschchen, aber überzeugt und überzeugend. Philipp mußte danach gleich zurück in den Dienst.
    »Ihr kommt doch heute abend zum Leichenschmaus zu mir.« Ich hatte gestern in der Stadt für den Weihnachtsbaum noch zwölf kleine Sardinendosen gekauft und die Fischlein in eine Escabeche-Soße eingelegt. Dazu würde es Weißbrot und Rioja geben. Wir verabredeten uns für acht Uhr.
    Philipp stürmte davon, Eberhard machte beim Prodekan die Honneurs, und die Putzfrau, die immer noch herzergreifend schluchzte, führte der Pfarrer sanft am Arm zum Ausgang. Ich hatte Zeit und schlenderte langsam über die Friedhofswege. Wenn Klara hier gelegen hätte, hätte ich sie jetzt besuchen und ein bißchen Zwiesprache mit ihr halten wollen.
    »Herr Selb!« Ich drehte mich um und erkannte Frau Schmalz, mit kleiner Hacke und Gießkanne. »Ich gehe gerade zum Familiengrab, wo jetzt auch Heinrichs Urne ruht. Es ist schön geworden, das Grab, kommen Sie schauen?« Sie blickte mich schüchtern aus ihrem schmalen, verhärmten Gesicht an. Sie trug einen altmodischen schwarzen Wintermantel, schwarze Knöpfstiefel, eine schwarze Pelzmütze über grauem, zum Knoten gestecktem Haar und ein erbarmungswürdiges kunstledernes Handtäschchen. Es gibt in meiner Generation Frauengestalten, bei deren Anblick ich alles glaube, was die Prophetinnen der Frauenbewegung schreiben, obwohl ich es nie gelesen habe.
    »Wohnen Sie noch im alten Werk?« fragte ich sie auf dem Weg. »Nein, da mußte ich raus, das ist ja alles abgerissen. Das Werk hat mich auf der Pfingstweide untergebracht. Die Wohnung ist schon recht, ganz modern, aber wissen Sie, das ist hart, nach so vielen Jahren. Ich brauche eine Stunde, bis ich beim Grab von meinem Heinrich bin. Nachher holt mich gottlob mein Sohn mit dem Wagen ab.«
    Wir standen vor dem Familiengrab. Es war über und über mit Schnee bedeckt. Die Schleife des vom Werk gestifteten und längst kompostierten Kranzes war an einem Stöckchen befestigt und prangte wie eine Standarte neben dem Grabstein. Witwe Schmalz stellte die Gießkanne ab und ließ die Hacke sinken. »Da kann ich heute ja gar nichts machen, bei dem vielen Schnee.« Wir standen und dachten beide an den alten Schmalz. »Das Richardle seh ich auch kaum noch. Ich wohn zu weit draußen jetzt. Was sagen Sie denn, ist das recht, daß das Werk … Ach Gott, seit Heinrich nicht mehr ist, denk ich immer so Sachen. Er hat mir das nicht erlaubt, hat nie was kommen lassen auf die Rheinischen.«
    »Seit wann wußten Sie denn, daß Sie rausmüssen?«
    »Schon ein halbes Jahr. Da haben sie uns geschrieben. Aber dann ging doch alles ganz schnell.«
    »Hat Korten denn nicht vier Wochen vor dem Auszug extra mit Ihrem Mann geredet, damit es Ihnen nicht zu schwer wird?«
    »Hat er? Davon hat er mir nichts erzählt. Er hat ja ein enges Verhältnis gehabt zum General. Vom Krieg her, als ihn die SS zum Werk abgestellt hatte. Seitdem stimmt’s, was sie bei der Beerdigung gesagt haben, daß das Werk sein Leben war. Gehabt hat er nicht viel davon, aber das hab ich auch nie sagen dürfen. Ob SS -Offizier oder Werkschutzoffizier, der Kampf geht weiter, hat er immer gemeint.«
    »Was ist aus seiner Werkstatt geworden?«
    »Mit so viel Liebe hat er sie hergerichtet. Und an den Autos hat er auch gehangen. Das ist beim Abbruch alles ganz schnell weggekommen, der Sohn hat kaum noch was rausholen können, ich glaube, verschrottet haben sie’s. Das hab ich auch nicht recht gefunden. Ach Gott«, sie biß sich auf die Lippen und machte ein Gesicht, als hätte sie gefrevelt. »Entschuldigen Sie, ich hab nichts Schlechtes sagen wollen über die Rheinischen.« Sie griff beschwichtigend nach meinem Arm. Sie hielt ihn eine Weile fest und sah aufs Grab. Nachdenklich fuhr sie fort: »Aber vielleicht hat’s der Heinrich am Ende selbst nicht mehr recht gefunden, wie das Werk mit uns umgegangen ist. Auf dem Totenbett hat er dem General noch was sagen wollen von der Garage und den Autos. Ich hab’s nicht mehr ganz verstanden.«
    »Sie erlauben einem alten Mann die Frage, Frau Schmalz. Waren Sie glücklich in der Ehe mit Heinrich?«
    Sie packte Gießkännchen und Häckchen. »So was fragt man heute. Ich hab mir das nie überlegt. Er war eben mein Mann.«
    Wir gingen zum Parkplatz. Der junge Schmalz kam gerade an. Er freute sich, mich zu sehen. »Der Herr Doktor. Haben Mama am Grab von Papa getroffen.« Ich

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