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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Hotelrezeption wartete eine Nachricht von Tyberg. Er würde mich gerne zum Abendessen abholen lassen. Statt ihn anzurufen und mich abholen zu lassen, 316
    ging ich in die Sauna des Hotels, verbrachte dort drei angenehme Stunden und legte mich ins Bett. Vor dem Einschlafen schrieb ich Tyberg noch einen kleinen Brief, in dem ich ihm dankte.
    Um halb zwölf klopfte Judith an die Tür. Ich machte ihr auf. Sie machte mir ein Kompliment über mein Nachthemd, und wir verabredeten die Abfahrt für acht Uhr. »Bist du zufrieden mit deiner Entscheidung?«
    fragte ich.
    »Ja. Die Arbeit an den Erinnerungen wird zwei Jahre dauern, und über das Danach hat Tyberg sich auch schon Gedanken gemacht.«
    »Wunderbar. Dann schlaf mal gut.«
    Ich hatte vergessen, das Fenster aufzumachen, und wachte von meinem Traum auf. Ich schlief mit Judith, die aber die Tochter war, die ich nie hatte, und ein lä-
    cherliches rotes Tingeltangel-Röckchen trug. Als ich für sie und mich eine Sardinendose aufmachte, kam Tyberg raus, wurde immer größer und füllte schließlich den ganzen Raum. Mir wurde eng, ich wachte auf.
    Ich konnte nicht mehr einschlafen und war froh, als es zum Frühstück ging, und vor allem, als wir endlich abfuhren. Hinter dem Gotthard begann wieder der Winter, und bis Mannheim brauchten wir sieben Stunden. Ich hatte am Dienstag eigentlich Sergej besuchen wollen, der nach nochmaliger Operation wieder im Krankenhaus lag, aber dazu war ich jetzt nicht mehr in der Lage. Ich lud Judith zum Sekt ein, um ihren neuen Job zu feiern, doch sie hatte Kopfschmerzen.
    So trank ich zu meinen Sardinen den Sekt allein.
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    Sehen Sie nicht, wie Sergej leidet?
    Sergej Mencke lag in der Oststadtklinik in einem Dop-pelzimmer auf der Gartenseite. Das andere Bett war gerade nicht belegt. Sein Bein hing erhöht an einer Art Fla-schenzug und wurde von einem metallenen Rahmenund Schraubensystem in der richtigen Schräglage gehalten. Er hatte die letzten drei Monate bis auf wenige Wochen im Krankenhaus verbracht und sah entsprechend elend aus. Trotzdem konnte ich deutlich erkennen, daß er ein schöner Mann war. Helles, blondes Haar, ein längliches englisches Gesicht mit starkem Kinn, dunkle Augen und ein verletzlicher, hochmütiger Zug um den Mund. Leider hatte seine Stimme etwas Weinerliches, vielleicht ja nur wegen der vergangenen Monate.
    »Wär’s nicht richtig gewesen, als allererstes zu mir zu kommen, statt mein ganzes soziales Umfeld zu irritie-ren?«
    So einer war das also. Ein Quengler. »Was hätten Sie mir dann erzählt?«
    »Daß Ihr Verdacht völlig aus der Luft gegriffen ist, eine Ausgeburt kranker Gehirne. Können Sie sich denn vorstellen, daß Sie sich auf diese Weise selber ein Bein verstümmeln?«
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    »Ach, Herr Mencke.« Ich rückte den Stuhl an sein Bett. »Es gibt so vieles, was ich selber nicht tun würde.
    Ich könnte mich auch nicht in den Daumen schneiden, um nicht mehr abspülen zu müssen. Und was ich als zukunftsloser Ballettänzer täte, um eine Million zu bekommen, weiß ich auch nicht.«
    »Diese alberne Geschichte aus dem Pfadfinderlager.
    Wo haben Sie die denn her?«
    »Dadurch, daß ich Ihr soziales Umfeld irritiert habe.
    Wie war das denn mit dem Daumen?«
    »Das war ein stinknormaler Unfall. Ich habe mit dem Taschenmesser Heringe geschnitzt. Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich hab die Geschichte schon anders er-zählt, aber nur, weil’s so ne hübsche Geschichte war, und meine Jugend gibt nicht viele Geschichten her. Und was meine Zukunft als Ballettänzer angeht … Na hören Sie mal. Sie machen mir keinen besonders zukunfts-trächtigen Eindruck mehr, aber Sie würden sich doch deswegen keine Gliedmaßen brechen.«
    »Sagen Sie, Herr Mencke, wie wollten Sie die Tanz-schule, von der Sie so oft geredet haben, finanzieren?«
    »Frederik wollte mich unterstützen, Fritz Kirchenberg, meine ich. Er hat eine Menge Geld. Wenn ich die Versicherung hätte betrügen wollen, hätte ich mir doch was Schlaueres einfallen lassen können.«
    »Die Autotür ist gar nicht so dumm. Aber was wäre denn noch schlauer gewesen?«
    »Da hab ich keine Lust, mit Ihnen drüber zu reden.
    Ich hab ja auch nur gesagt, wenn ich die Versicherung hätte betrügen wollen.«
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    »Wären Sie bereit, sich psychiatrisch begutachten zu lassen? Das würde der Versicherung die Entscheidung erheblich erleichtern.«
    »Kein Gedanke. Ich laß mich nicht auch noch für verrückt verkaufen. Wenn die nicht sofort zahlen, geh ich zum

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