Selbs Justiz
Herren von Hoffmann-La Roche. »Am nächsten Morgen trank ich Schokolade und aß Hörnchen, wie mitten im Frieden.«
Er konnte gut erzählen. Gebannt hörten Judith und ich zu. Korten. Immer wieder setzte er mich in Erstaunen oder gar Bewunderung. »Aber warum durfte das nicht publik werden?«
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»Korten ist bescheidener, als er scheint. Er hat mich nachdrücklich gebeten, seine Rolle bei meiner Flucht zu verschweigen. Ich habe das auch stets respektiert, nicht nur als bescheidene, sondern auch als weise Geste. Zum Image des Unternehmensführers, an dem er arbeitete, paßte die Aktion schlecht. Erst jetzt im Sommer habe ich das Geheimnis gelüftet. Kortens Standing als Unternehmensführer ist heute allseits anerkannt, und ich denke, er wird sich freuen, wenn die Episode in dem Portrait, das ›Die Zeit‹ anläßlich seines siebzigsten Geburtstages im nächsten Frühjahr bringen will, ihren Platz bekommt. Daher habe ich die Geschichte dem Reporter, der für das Portrait recherchiert und vor einigen Monaten bei mir war, erzählt.«
Er legte ein Scheit nach. Es war elf Uhr.
»Noch eine Frage, Frau Buchendorff, ehe der Abend ausklingt. Hätten Sie Lust, für mich zu arbeiten? Seit ich an meinen Erinnerungen schreibe, suche ich jemanden, der für mich recherchiert, im rcw-Archiv, in anderen Archiven und in Bibliotheken, der kritisch gegen-liest, sich an meine Handschrift gewöhnt und das endgültige Manuskript schreibt. Ich wäre froh, wenn Sie am 1. Januar anfangen könnten. Sie würden überwie-gend in Mannheim arbeiten, gelegentlich für die eine oder andere Woche hier. Die Bezahlung wäre nicht schlechter als bisher. Überlegen Sie sich’s bis morgen nachmittag, rufen Sie mich an, und falls Sie ja sagen, können wir gleich morgen noch die Details klären.«
Er brachte uns an die Gartentür. Der Butler wartete mit dem Jaguar, um uns ins Hotel zu bringen. Judith 313
und Tyberg verabschiedeten sich mit Kuß auf die linke und rechte Wange. Als ich ihm die Hand gab, lächelte er mir mit einem Augenzwinkern zu. »Werden wir uns wiedersehen, Onkel Gerd?«
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Sardinen aus Locarno
Beim Frühstück fragte Judith, was ich von Tybergs Angebot hielte. »Er hat mir gut gefallen«, setzte ich an.
»Das glaub ich. Ihr wart ja eine Nummer, ihr beiden.
Als der Staatsanwalt und sein Opfer zur gemeinsamen Kammermusik übergingen, traute ich meinen Ohren nicht. Es ist schon in Ordnung, daß er dir gefällt, das tut er mir auch, aber was hältst du von seinem Angebot?«
»Nimm’s an, Judith. Ich denke, was Besseres kann dir nicht passieren.«
»Und daß ich ihn als Frau interessiere, macht den Job nicht schwierig?«
»Das kann dir doch bei jedem Job blühen, damit kannst du auch umgehen. Und Tyberg ist ein Gentle-man und wird dir nicht beim Diktat unter den Rock greifen.«
»Was mache ich, wenn er mit seinen Erinnerungen fertig ist?«
»Ich sag gleich was dazu.« Ich stand auf, ging ans Frühstücksbüfett und holte mir zum Abschluß ein Knäckebrot mit Honig. Da schau einer an, dachte ich.
Will sie sich ein Eigenheim bauen? Zurück am Tisch, 315
sagte ich: »Er wird dich schon unterbringen. Das sollte deine letzte Sorge sein.«
»Ich überleg’s mir noch bei einem Spaziergang am See. Sehen wir uns zum Mittagessen?«
Ich wußte, wie es weitergehen würde. Sie würde den Job annehmen, Tyberg um vier anrufen und bis in den Abend hinein mit ihm die Details besprechen. Ich beschloß, nach meinem Ferienalterssitz zu suchen, hinter-ließ Judith einen Zettel mit besten Wünschen für gute Verhandlungen mit Tyberg und fuhr los, den See entlang bis Brissago, wo ich mit dem Schiff zur Isola Bella über-setzte und zu Mittag aß. Danach wandte ich mich in die Berge und schlug einen großen Bogen, der mich bei Ascona wieder an den See kommen ließ. Ferienalterssitze sah ich die Fülle. Aber meine Lebenserwartung so redu-zieren, daß ich mir aus der Lebensversicherung noch einen kaufen konnte, mochte ich denn doch nicht. Vielleicht würde mich Tyberg ja auch für die nächsten Ferien einladen.
Bei Einbruch der Dunkelheit war ich zurück in Locarno und bummelte durch die weihnachtlich geschmük-kte Stadt. Ich suchte nach Sardinendosen für meinen Weihnachtsbaum. In einem Feinkostgeschäft unter den Arkaden fand ich portugiesische Sardinen mit Jahr-gangsbezeichnung. Ich nahm eine Dose des Jahrgangs 1983, in leuchtendgrünen und -roten Farben, und eine von 1984, in schlichtem Weiß mit goldener Aufschrift.
An der
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