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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Bordrestaurant.
    Der Zug hält. Und steht. Und steht.
    Â»Liebe Fahrgäste, aufgrund einer Achssperrungskomplikationsangelegenheit sind wir gezwungen, einen kurzen Stopp einzulegen. Wir informieren Sie baldmöglichst, wenn es weitergeht.«
    Ich nutze die Gelegenheit und latsche durch die Waggons. Remple versehentlich einen Mann an, der auf seinem iPod Musik hört. Sehe aufs Display des Gerätes. Er hört grad UNHEILIG. Titel: Geboren um zu leben. Ach dafür, denke ich.
    Versuche den Veranstalter in Hamburg anzurufen.
    Â»Ja ...ha ...ka....fub...mache...« Tut-tut. Wahlwiederholung. »Hick ....lab ....seh.... schnu.... Heck ....lus.... rabä..... Tut-tut.
    Fazit: keine Veränderung. Gleicher Empfang wie 1987.
    Eine Stimme von hinten:
    Â»So, jemand zugestiegen hier?«
    Der Schaffner hat einen schrubbergroßen Schnäuzer und trägt die übliche Schirmmütze, will sagen, sein Sichtfeld misst zwei Fingerbreit. Der erkennt keinen wieder. Nie und nimmer.
    Er: »Jemand zugestiegen hier?«
    Er sieht mich direkt an.
    Â»Jemand … ZUGESTIEGEN … hier?«
    Ich schweige.
    Er: »Sie zugestiegen hier?«
    Ich: »Nee.«
    Er: »Nicht zugestiegen hier?«
    Ich: »Nee.«
    Er: »Sie sind nicht zugestiegen?«
    Ich: »Doch.« Ist immerhin schwer abzustreiten.
    Er: »Hier?«
    Ich: »Nee.«
    Er: »Aber zugestiegen.«
    Ich: »Doch.«
    Er: »Wo zugestiegen?«
    Ich: »Hier.«
    Er: »Wo hier zugestiegen?«
    Ich: »Waggontür.«
    Er: »Wo zugestiegen?«
    Ich: »Hinten.«
    Er: »Jetzt?«
    Ich: »Früher.«
    Er: »Wo zugestiegen?«
    Ich: »Kartoffelpuffer.«
    Er: »Wat Kartoffelpuffer?!«
    Ich: »Wollte nur überprüfen, ob Sie am Ball bleiben.«
    Er: »Die Fahrkarte!«
    Ich: »Ich?«
    Er: »Ja! Karte!«
    Na komm, denk ich, wozu Schwierigkeiten machen?
    Ja, ich kam in Hamburg an. Alles in allem also eine klare Reiseempfehlung. Die letzte halbe Stunde hatte ich sogar einen Sitzplatz und konnte fast eine ganze Folge GREY’S ANATOMY ohne Ton mitgucken. Mein Nebenmann, dem der Laptop gehörte, trug Kopfhörer und lachte immer keckernd bei OP-Szenen. Unheimliches Volk, diese Geschäftsreisenden.
    Wir hatten nicht ganz eine Stunde Verspätung. Ab 60 Minuten Verspätung gibt’s eine Entschädigung, falls man das unstillbare Verlangen verspürt, einige kafkaeske Formulare auszufüllen, aber bei uns waren es lediglich 54 Minuten. Ich nehme an, der Zugführer hat die letzten zwanzig Minuten so krass beschleunigt, dass wir uns in der Zeit rückwärts bewegten. Ich meinte zumindest, durchs Zugfenster einige Wanderhuren erblickt zu haben.
    Muss in dieser Sache beizeiten Stephen Hawking eine Mail schreiben.

Heimat
    E s gibt Aussprüche mit eher entlarvendem Charakter:
    Â»Die Heimat kann man sich nicht aussuchen.«
    Wladimir Kaminer
    Klar kann man. Heimat ist eine innere Einstellung. Heimat ist New York, wo ich das Hirn abstelle und wie ein Bekloppter Levi’s-Jeans kaufe, weil sie billig sind, obwohl ich in ihnen aussehe wie ein Stricher, der nicht weiß, wann Schluss ist. Heimat ist ein Empfindungspuzzle. Eine schwammige Kiste, und keine Antwort auf »Was ist Heimat?« erfüllt die Erwartungen des Fragenden.
    Es ist, als würde man auf die Frage einer Frau »Bist du eigentlich ein sensibler Typ?« mit »Scheiße – wenn’s sein muss« antworten.
    Einer dieser seltsamen Aussprüche zum Thema ist:
    Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.
    Christian Morgenstern, 1871–1914
    Der Mann heißt ja wohl nicht umsonst wie eine stachelbewehrte Stahlkugel.
    Heimat ist also, wo andere einen verstehen? Ist gut. Wenn’s mal so wäre.
    Ein Beispiel.
    Ich saß zuhause und schrieb an meinem nächsten Projekt: dem großen Arbeitslosen-Roman, gegen den Berlin Alexanderplatz wie die Aufbauanleitung einer Hollywoodschaukel wirken wird.
    (Arbeitstitel)
    DIE HARTZ
    (Später vermutlich)
    Kuki – eine Symphonie in Pferdefleisch
    Eine rasche Zusammenfassung:
    Meier fällt in ein tiefes Loch; eben noch im Vorstand eines Mobilfunkanbieters, rutscht er durch einen Computerfehler, hervorgerufen durch das auf die Tastatur aufschlagende Kinn eines eingenickten Sachbearbeiters aus der Personalabteilung, in die Erwerbslosigkeit.
    Der erste Dialog: ein bleischweres Konstrukt,

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