Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
ich feierlich. »Wir sind auch nur Menschen.«
Noch 55 Sekunden. Links preschte einer heran und stieà mit dem Messer nach mir.
»Der rasiert mich!«, rief ich vorbeugend. »Das ist der Friseur.«
»Also bei Postamt verschickt man Marmelade, streichelt Hunde, macht Schluckimpfung und lässt sich rasieren?«
»Jetzt hast du es begriffen.«
Ich verabreichte dem Messertypen eine rasante Gegenrasur.
20 Sekunden. 10. Ende. Gewonnen. Ich schwitzte wie ein Schwein.
»So, ab in die Falle.«
»Das war toll, Papa.«
Ja genau, dachte ich, das war toll. Morgen spielen wir COUNTERSTRIKE oder wie es neuerdings heiÃt: Pusteblume-Umfall-Spitzpassauf mit ganz viel Rohrpost.
Trotzdem war ich mir sicher, dass dieses kurze Intermezzo keine bleibenden Schäden bei meinem Kind hinterlassen würde â und dieses Gefühl hielt sich genau einen Tag. Dann rief die Schule an und teilte mir mit, dass mein Sohn seiner Kunstlehrerin mit den Worten »Sie haben Post« ein 600-Gramm-Glas ZENTIS-Konfitüre an den Schädel geworfen hatte. Ich wurde zu einem Gespräch vorgeladen. Ist in drei Tagen. Ich näh mir schon mal Tarnkleidung in Tafelgrün.
Deutsche Bahn, kein einziges Klischee drin, glaub ich
U m mal zwei Dinge klarzustellen:
Es gibt zu viele Texte über die Deutsche Bahn. Da ist die komplette Raupensammlung vertreten: die humoristischen Knaller, der Sack verzweifelter Schreie und die groÃen Satiren, die von der Bahn selbst stammen. Niemand benötigt lustige Texte über die Bahn. Ich bin überdies passionierter Autofahrer.
Autofahren ist aber auch nichts weiter als der Versuch, bei der Reise zwischen zwei Punkten den anderen Idioten auszuweichen.
Soviel zur Theorie. Irgendwann kommt nämlich der Tag, an dem man gegen 14:00 Uhr komplett in Frottee auf der Couch hängt, und das Smartphone krakeelt plötzlich was von TERMIN, schön verknüpft mit der Musik vom A-Team. »19:00 Uhr Auftritt Hamburg!!!!«
Na guck. Bis ich aus dem würdelosen Fummel raus bin, alle Texte zusammengeklaubt habe und endlich im Wagen sitze, wäre 16:00 Uhr. Dann tanken. Dann die Karre aussaugen, damit man sich nicht wie in der Bruchschütte einer Keksfabrik fühlt. Dieses Krümeln und Knirschen macht einen beim Abbiegen ganz bekloppt. Dann aber los. Und klar ist mal: Dreihundertfuffzig Kilometer bis in die Hansemetropole ⦠das wird nix. Nicht bis um sieben.
Ab dem Kamener Kreuz werden die geistig normalen Autofahrer nämlich vom »Amt für Psychopathen mit Phantasialand-Aufkleber auf dem Heck« ausgetauscht.
Ab Höhe Unna kannst du aus dem Wagen schauen, wann du willst: Links, rechts, hinter dir, die Karre geradeaus â alles Geisterbahn. Die A3 ist plötzlich voller Schläfer, die versonnen im Garten knieten, bis sie ein harter Ruck durchfuhr und sie einen stummen Befehl erhielten: FAHR NACH HAMBURG! JETZT! UND MACH LANGSAM!
Und alles ist Baustelle. Einspurig. Mit Blitzern. Nach knapp zweihundertfünfzig Kilometern dann links an der Autobahn: Der VITAKRAFT-OUTLETSTORE! Bitte drauf achten, wenn Sie das nächste Mal aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg fahren.
Gegen zwanzig Uhr dann endlich Hamburg. Traumhafte Stadt. Navigation bellt was von »noch 4,7 km«. Für diese Strecke brauchst du eine Stunde, denn auch Hamburg hat seine Schläfer, die plötzlich Kommandos in die Hirnrinde genagelt bekommen: FAHR ZUM VITAKRAFT-OUTLETSTORE! DU BRAUCHST VIER ZENTNER HIRSESTANGEN! UND MACH LANGSAM!
Die Autofahrt sollte man sich wirklich nicht antun.
Warum nicht stattdessen Mitfahrzentrale?
Soll doch jemand anders die Strecke fahren. Du hockst daneben und machst vier Stunden die Augen zu.
Warum nicht? Hm?
Der Kontakt zu den mitnahmewilligen Fahrern ist doch leicht. Das Internet machtâs möglich.
Das ist aber auch das Problem. Einige Spezialisten scheinen beruflich nichts anderes zu tun, als sich und ihren Wagen als Mitfahrgelegenheit feilzubieten, was sich dann in etwa so liest:
Fahrt von München nach Hamburg!
Ãber-München-Rosenheim-Hunzhausen-Grunzhausen-Schlunzhausen-Sindelfingen-Stuttgart-Mannheim-Mainz-Frankfurt-Köln- Pi-Pa-Po-Castrop-Rauxel Marktplatz-Dortmund-Hamm-Porta Westfalica-Lemgo-Hückeswagen-Münster-Bremen-Stopp hinter Bremen, um sich die Einschusslöcher in der Tür zuspachteln zu lassen â Hamburg-Harburg â Hamburg Hauptbahnhof.
Zusteigen an allen
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