Selina - Liebesnaechte in Florenz
genug böse Worte hatte anhören müssen, wenn sie am Abend mit einem Buch in der Hand da saß. „Meine Mutter liest ebenfalls sehr viel, darunter auch die Schriften unserer Humanisten und Gelehrten, so wie Lucrezia Tornabuoni und viele andere Frauen meiner Bekanntschaft und Verwandtschaft das ebenfalls tun, und ich habe noch nie bemerkt, dass sich dies in irgendeiner Weise schädlich ausgewirkt hat. Im Gegenteil, ich finde es sehr ratsam für eine junge Frau, sich zu bilden und sich auch mit Dingen zu beschäftigen, die über die Führung eines Hauses und die Erziehung ihrer Kinder hinausgehen.“
„Gewiss, gewiss“, murmelte der Alte, wobei man ihm ansah, dass er diese Meinung keineswegs teilte.
„Welcher auch nur durchschnittlich gebildete Mann“, fuhr Alessandro fort, „zöge es wohl nicht vor, eine Gattin heimzuführen, die ihm nicht nur eine treu sorgende Frau ist, sondern mit der er auch über Dinge reden kann, die ihn bewegen. Über Politik zum Beispiel, die schönen Statuen Donatellos, die ausdrucksvollen Gemälde von Giotto oder gar über die alten und neuen Philosophen.“
Selina hatte bei seinen Worten schon längst wieder den Kopf gehoben und musterte den ihr zugedachten Ehemann mit neu erwachtem Interesse. Sie war hierher gekommen mit dem festen Vorsatz ihn nicht zu mögen. Ihn zu verachten, heimlich zu verspotten. Aber nun war er so ganz anders als sie gedacht hatte. Nicht der übersättigte Lebemann, der sich wie ein Pfau herausputzte und sich bewundern ließ, sondern ein Mann, den man ernst nehmen konnte. Sie betrachtete seine einfache, aber gediegene Kleidung, seine natürliche Frisur, die ohne künstliche Locken auskam. Ihr Blick blieb abermals an seinen Augen hängen, die von vielen kleinen Lachfältchen umgeben waren, die sich hell von der dunklen Gesichtsfarbe abhoben. Ein ansprechendes Gesicht, nicht so aufgedunsen wie das der reichen Kaufleute, die sich um ihren Großvater scharten, sondern sehr männlich. Sie zuckte zusammen, als er den Kopf wandte und sie dabei ertappte wie sie ihn anstarrte und senkte, tief errötend, wieder den Blick. Sie mochte vielleicht weniger Vorbehalte gegen ihn haben als früher, aber die Genugtuung, ihm ihr Interesse merken zu lassen, wollte sie ihm doch nicht gönnen. Und darüber hinaus hatte sie in diesem kleinen Augenblick deutlich wieder dieses Lächeln bemerkt, das sie weitaus mehr verunsicherte als alle Liebesschwüre der Männer, die bisher um ihre Hand angehalten hatten.
Für den Rest des Abends vermied sie es tunlichst, auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen, zog sich beim geselligen Zusammensein nach dem Essen in die entfernteste Ecke des Raumes zurück und atmete erleichtert auf, als Francoise mit ihr den Saal verließ und sie sich auf ihr Zimmer begaben.
„Wie findest du Alessandro Barenza eigentlich?“ fragte Francoise ein wenig später. Sie hatte bereits ihr Kleid abgelegt und saß nur im Hemd auf einem Schemel, während Selina ihr dabei half, das Haar auszufrisieren und für die Nacht zu flechten. „Ich glaube, er ist nicht so abscheulich wie du anfangs dachtest. Jedenfalls macht er mir nicht den Eindruck eines eitlen Gecken, sondern im Gegenteil: sein Auftreten ist sehr angenehm.“
„Vielleicht solltest du ihn ja heiraten“, erwiderte Selina gehässig. Francoise sprach zwar nur aus, was sie selbst schon längst dachte, aber aus einem ihr unbekannten Grund störte es sie, dass ihre Freundin solch lobende Worte für diesen Mann fand.
„Ich würde es tun“, antwortete Francoise, nicht im Geringsten gekränkt. „Aber zum einen habe ich keine Mitgift, die ihm anziehend genug erscheinen würde um mich zur Frau zu nehmen – falls du es schon vergessen haben solltest, liebe Freundin, wir haben die Rollen getauscht, du bist die reiche Enkeltochter, nicht ich“. Sie nahm Selina den Kamm aus der Hand, stand auf und drückte sie auf den Schemel, um nun ihr Haar zu frisieren. „Und zum anderen finde ich seinen Freund wesentlich liebenswerter.“
Selina hob die Augenbrauen. Es war ihr nicht entgangen, dass zwischen Alessandros Freund, einem gewissen Francesco Averti, und ihrer Freundin verschämte Blicke getauscht worden waren. Sie selbst hatte dem jungen Mann, der sich immer sehr bescheiden und unauffällig im Hintergrund hielt, jedoch bei fast jedem Besuch Alessandros ebenfalls mitkam, nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ein netter junger Mann, ja, aber zu hübsch für ihren Geschmack. Er hatte ein zart geschnittenes
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