Semmlers Deal
zum nächsten, aber kein Problem mit zwei Dutzend Verfolgerautos. Was, wenn Koslowski nun aber nicht in den Bregenzer Wald (zum Beispiel) fuhr, sondern einfach nach Hause?
Das war immer noch drin. Er sah in den Rückspiegel. EinVerfolgerauto konnte er nicht entdecken. Überhaupt keinen anderen Wagen. Bei der Einmündung in die B 190 stand die Ampel auf rot, er fuhr einfach nach rechts weiter, weil weit und breit kein anderes Auto zu sehen war, nicht hinter ihm, nicht links und nicht rechts. In der Stadt wurde der Verkehr etwas dichter, die meisten Autos kamen ihm entgegen. Er stellte sich auf den Kundenparkplatz beim »Merkur«, der um diese Zeit völlig leer war und beobachtete den Verkehr auf der nördlichen Haupteinfahrtsstraße. Ja, es gab Verkehr. In beiden Richtungen. Keines der Autos zögerte beim Vorbeifahren. Koslowski versuchte, sich die Typen zu merken, gab das bald auf, es waren zu viele. Auch hatte er keine Ahnung von der Technik der Observation mit PKWs; vielleicht gab es da einfache Tricks, die man aber gezeigt bekommen muss, von selber kommt der Laie nicht drauf.
Er konnte immer noch nicht sagen, ob er verfolgt wurde. Er fuhr nach Hause. Dort aktivierte er das vor zwei Wochen gekaufte Wertkartenhandy, wählte und sagte: »Du kannst gehen.« Dann rief er auf dem normalem Handy Semmler an.
»Alles erledigt«, sagte er. »Es kann noch dauern.«
»Wer sagt das?«
»Na, die!«
»Wie lang?«
»Haben die nicht gesagt. Nur: kann noch dauern. Mach dir keine Sorgen, das geht klar.« Im Hintergrund hörte er leises Weinen. Er legte auf.
Inzwischen war es halb zwei. Er machte einen Spaziergang, warf das Wertkartenhandy in einen Altmetallcontainer. In der Umgebung seines Hauses war niemand auf der Straße – aber klar doch: ganze Hundertschaften konntenhinter den dunklen Fenstern der Nachbarschaft lauern und ihn mit Nachtsichtgeräten und hochempfindlichen Richtmikrophonen überwachen. Er saß daheim und wartete. Auf den Krach, wenn sie mit dieser komischen Zweimannramme, die man immer im Fernsehen sieht, die Tür einschlagen. Oder würden sie doch zuerst läuten?
Er setzte sich an den Küchentisch und zählte das Geld, dann gleich noch einmal. Fünfhunderttausend in Zehnern, Fünfzigern und Hundertern. Er untersuchte die Scheine mit einer Lupe, konnte aber keine Markierungen erkennen, was nichts hieß, da ihm bei diesem Detail wie auch bei allen anderen des Entführungsgeschäftes alle Kenntnisse fehlten. Wo blieben die nur? Hätten sie nicht schon längst zugreifen müssen? Oder verhörte man erst Karin, wenn sie zu Hause auftauchte? Karin würde etwa eineinhalb Stunden von dem Waldversteck zum Bahnhof brauchen, wo sie sich ein Taxi nehmen und heimfahren sollte. Nach mehrtägiger Gefangenschaft in einem lichtlosen Keller habe man sie, würde sie sagen, mit einer Augenbinde in ein Auto verfrachtet und lang durch die Gegend gefahren; natürlich habe sie versucht, sich die Kurven zu merken, es aber bald aufgegeben, und so weiter und so fort, dieser Teil war nicht schwierig. Dann hätten sie angehalten, hätten sie aussteigen lassen und seien sofort weitergefahren. Wo? Auf einem Waldweg. Dort sei sie eine Zeitlang umhergeirrt, weil sie nicht gewusst habe, wo sie sich befand; endlich sei es ihr gelungen, sich zu orientieren, sie sei in die Stadt gelaufen zum Bahnhof. Und ja, es seine mehrere gewesen, gesehen habe sie aber immer nur einen in einer Schimaske, und sie hätten sich in einer ihr unbekannten, aber slawisch klingenden Sprache unterhalten. Aber klar doch!
Eine Legende. Reine Erfindung. Aus Gründen, die sie beide nicht kannten, Karin nicht und Koslowski auch nicht, leicht vom zuständigen Kommissar zu zerpflücken, weil sie nicht nur ein wichtiges Detail übersehen hatten, sondern deren mehrere. Karin wusste das nicht, aber Koslowski wusste es. »Wenn es so war, wie Sie sagen, warum ist dann ...« Oder: »Warum haben Sie dann nicht ...? Oder: »Wie erklären Sie sich dann, dass ...« Den Fortgang dieser Sätze konnte er sich aber nicht vorstellen, nicht einen einzigen, und dazu würde er, das wusste er, auch nicht imstande sein, wenn er hundert Jahre darüber nachdachte. Es fehlte ihm jede Eignung zum kriminalistischen Denken, er las keine Kriminalromane, hatte nie welche gelesen. Weil sie so langweilig waren – denn das ganze Herumgetüftel hatte nichts mit Logik zu tun, die es allein in der Wissenschaft gab, sondern war nur ein von Menschen ausgedachtes Spiel; in Spielen war er nie gut gewesen,
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