Semmlers Deal
Semmler recht, man müsse es eben versuchen, mit dem Erlös könne er aber das Loch stopfen, das durch das Lösegeld gerissen worden sei. Koslowski nickte, mimte den Interessierten. Je länger Semmler redete, desto intensiver wurde die Gewissheit, die Koslowski beim Zuhören überkam: er hörte Semmler das letzte Mal zu, sah ihn das letzte Mal vor sich, war zum letzten Mal in diesem Haus. Dasselbe fühlte er bei Ursula, wenn er sie ansah, nicht aber bei Karin. Sie würde er öfter sehen, die beiden anderen nie wieder. Dieses Wissen hatte aber nichts Bedrohliches, weder für ihn noch für Semmler und die Frau, die früher seine gewesen war. Kein Unfall würde sie aus dem Gesichtskreis entfernen, nur das Leben selbst. Ihre Wege würden sich trennen. Für immer. Er würde, das wusste er auch, von seiner Tochter noch vieles über Semmler und Ursula hören, auch über das Haus, das nicht niederbrennen würde wie das letzte, sondern verkauft werden, gegen jede Wahrscheinlichkeit würde sich nämlich ein Käufer finden und dann ... da verließ ihn das Wissen, das mehr ein Gefühl war als explizit formulierbare Kenntnis. Er fröstelte. Weiter wollte er nichts wissen. Nur raus. Er verabschiedete sich, Karin brachte ihn zur Tür, versprach, am nächsten Tag vorbei zu kommen.
Koslowski drehte sich kein einziges Mal um, als er auf den Wagen zulief und schaute nicht in den Rückspiegel, als er auf dem Parkplatz wendete und mit hochdrehendem Motor die Einfahrt hinab fuhr.
Koslowski behielt Recht. Er sah Semmler nicht wieder, auch seine Exfrau nicht. Und nicht das Haus. Karin nochoft. Sie erzählte ihm alles. Nach dem Geld fragte sie nie. Er berichtete ihr davon: wie er es angelegt hatte, vorsichtig, ohne Hang zu Spekulationen, wie er es ausgab für kleinere Anschaffungen und für die Renovierung des Hauses. Das Geld ließ er in dem Intersparsack in einem Schrank im Keller, er machte nicht einmal den Versuch, es zu verstecken; einen kleineren Teil legte er auf acht Wertpapierkonten bei verschiedenen Banken. Die Tarnung war dürftig. Wenn jemals nachgeforscht würde, hätte er keine Erklärung für die Herkunft des Geldes. Nur die Wahrheit. »Das Geld? Ach so, das hab ich von einem Schulfreund erpresst, die Tochter steckt auch mit drin, vorgetäuschte Entführung, komplizierte Geschichte, wollen Sie sie hören?« Er kaufte sich keinen Porsche und kreuzte damit in der Nachbarschaft herum, das nicht, aber viel mehr tat er nicht, den neuen Reichtum zu verbergen. Er ließ die alte Ölheizung rausreißen und eine Wärmepumpe einbauen, neue Böden legen, die Fassade isolieren und verputzen. Neue Fenster gab es auch. Das alles wurde von der Nachbarschaft zur Kenntnis genommen, aber nicht hinterfragt. Ausgaben für bauliche Maßnahmen maß man in diesem Land mit einer anderen Latte; sie galten nicht als ausgegebenes Geld. Wenn sich jemand einen Plasmafernseher kaufte oder ein Rennrad, fragte sich jeder, wo das Geld herkam; bei der zehnmal teureren Pelletsheizung fragte das niemand, das Geld kam von der Bank, es war von einer anderen, höheren Kategorie, weil notwendig.
Die Semmlersche Villa wurde verkauft, schon einen Monat nach Karins Rückkehr. Für so ein bizarres Objekt so schnell einen Käufer zu finden grenzte an ein Wunder; Karin wusste nur zu berichten, dass es sich um einen Geschäftsmannhandelte. Sie bekam ihn nie zu Gesicht; Semmler erzählte wenig, aber, sagte sie, weil er selber kaum etwas über diesen Herrn wusste, nicht, weil er etwas verschweigen wollte. Konnte gut sein, dass es ein Strohmann der Russenmafia war. Auch später wurde nie recht klar, wer nun in der Protzvilla wohnte. Koslowski hörte von seinem Berater bei der BAWAG, seiner neuen Hausbank, dass in dieses Objekt verschiedene Handelsfirmen eingezogen seien. Womit die handelten, war nicht ganz klar; wie es aussah, mit allem und jedem. Semmler, erzählte Karin, habe das rasche Auftauchen des Interessenten als Wink des Schicksals begriffen und das Angebot sofort angenommen.
»Er dreht völlig durch«, sagte sie, »da meldet sich irgend so ein windiger Typ beim Makler, bietet eine lächerliche Summe ...«
»Wie viel?«, fragte Koslowski.
»Weiß ich nicht genau ... so bei eins komma vier, glaub ich. Jedenfalls hat Semmler sofort akzeptiert. Der Makler war dagegen. Aber Semmler sagt, wenn er dieses Angebot nicht annimmt, kommt keiner mehr ...«
»Er hätte doch warten können – oder hat der Typ gedrängt?«
Ȇberhaupt nicht. Das ist ja das Komische.
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