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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Gestalt. Du hast doch selbst das Wort Nebel gesagt. Gedankennebel. Wunschbilder. Nebulöse Hirngespinste. Geistererscheinungen. Hat jemals ein Mensch namens Ludwig in einer Filmvorführung neben dir gesessen? Hast du einen braunen Pullover oder eine stachlige Wange an deinem Gesicht gespürt oder Lippen, eine Zunge, einen milchigen Mund?
    Du hältst nichts, du kannst nichts halten noch festhalten, und dies ist, was du lieben und wissen musst. Eben dies ist ein Wissen aus Liebe. Liebe, was dir entkommt, liebe den, der fortgeht. Liebe, dass er fortgeht.
    Novembermorgen oder schon Dezember, jedenfalls noch kein Schnee, trotzdem viel Weiß, viel leere Freiheit. Ludwig geistert.
    Eli packt die Briketts aus. Anton hat die hartgepressten Lausitzer Rekord in Zeitungspapier gewickelt, immer zwei in eine Seite, so hast du gleich Papier zum Anfeuern. Das ist Anton. Damit kann er seine Liebe zeigen, leise murrend. So ein Blödsinn, schleppt das Mensch Kohle aus seinem Dresdner Keller im Rucksack bis in die Berliner Gegend. Blödsinn und Eigensinn, vielleicht doch mehr praktisches Denken, weil sie sonst über den Winter frieren müsste ohne Kohlezuteilung, und dabei kann sie froh sein, denn sie lebt unter ihrer neuen Adresse mit einem sehr gut gebauten Kachelofen, nicht neu, aber frisch umgesetzt und gereinigt.
    Eli hat nur Gutes von ihren neuen Lebensumständen erzählt. Sie war plötzlich per Anhalter angereist. Sie ist im Albertinumgewesen, sonst aber hat sie wenig Zeit gehabt für ihren Großvater und die Kunststadt Dresden. Nicht mal für die Staatskapelle hatte sie ein paar Stunden. Aber eins haben sie gemacht, Anton und Eli, sie sind, schon bepackt mit dem Kohlerucksack, über den Striezelmarkt gegangen und haben dann im
Gambrinus
auf der Brühlschen Terrasse gemeinsam gegessen. Kartoffelsalat und Würstchen. Wiener! Anton hat tröstend von damals erzählt, wieder vom Winter 47, vom Kohleklauen am Pieschner Bahndamm.
    Da war ich doch selber dabei, hatte Eli ihren Großvater unterbrochen.
    Stimmt, du warst klein und wie ein Wiesel. Und nach einer Weile hatte er seine Enkelin auf den Kopf zu gefragt. Und nun?
    Wie geht die Geschichte weiter?
    Es geht seinen Gang, hatte Eli gesagt.
     
    Damit hatte sie sich auf den Weg gemacht. Erkannt, verkannt, zerrissen, aller Zuwendungen unwürdig. Der Rucksack war schwer, aber sie wurde als Anhalterin mitgenommen, wieder einmal von einem Lkw-Fahrer, wieder einmal bis vor das Haus, diesmal ohne Umweg, denn die Thälmann-Straße ist eine Hauptstraße, hier geht es durch, vom südlichen Dresden bis hoch in den Norden, nach Rostock zum Beispiel.
     
    Briketts mit Liebe verpackt. Die Zeitungen bebildert, ein Staatsbesuch und Straßenbahnen am Platz der Einheit, beschrieben mit Politik, Kunststadtkultur, bekleckert mit Antons Frühstücksmarmelade, braune Ringe vom Kaffeetopf. Eli hat eine Weile gebraucht, jetzt in dem leeren Raum vor dem Ofenloch ist sie gerührt, so viel Güte, so viel sächsische Sorge um ihren Lebensweg, sie möchte ihren Großvater umarmen. Sie möchte weinen vor Dankbarkeit. Endlich ist sie in die Lage versetzt, Kohle für den gemeinsamen Badeofen zu stiften.
    Das wurde aber auch Zeit.
    Herr Simon ist schon zugange. Stillschweigend hat er das Amt übernommen, er schichtet drei Brikett samt einem Würfel Brennfix auf den von Eli am Abend gereinigten Rost. Helga pennt wahrscheinlich noch, rekelt sich auf der Matratze.
    Eli hört, wie Herr Simon den langen L-förmig geknickten Korridor zurück in sein Revier tappt, nackten Fußes auf nacktem Linoleum, eine Tür fällt. Geräusche verschwimmen im leeren Raum. Gedanken flattern. Wie der Kerl seinen borkenbraunen Bademantel fallen lässt, wie er munter unter die Decke kriecht, denn es dauert noch, ehe das Morgenbad warm genug ist.
    Derweil donnern Tieflader, die auf dem Kopfsteinpflaster das Tempo halten. Das Haus bebt, doch kein gläsernes Klirren mehr, alle Glasschränke abtransportiert, das Kristall von Decken und Wänden abgeerntet, alles fort. Frau Gottschalk mit sämtlichem Dasein verschwunden.
    Die Kohle in Elis Ofen hat Feuer gefangen. Knisternde Atmosphäre, rötliches Züngeln. Ein Versprechen von Wärme füllt den Raum, ein Duft, ein Gestank, Schwefel. Schwefeltränen. Eli lässt Luft durch die Tür. Eine Handbreit frischer Sauerstoff, mehr geht nicht, weil draußen in der Loggia noch Sachen von Frau Gottschalk lagern, die bald von einem Friedhofsfreund abgeholt werden sollen. Gießkannen, Rechen und Körbe. Letzte

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