Sepia
herumgeht. Er ist kein wortkarger Mann, er spricht über so viel interessante Sachen, aber das Verwunderliche scheint ihm nicht der Rede wert zu sein. Sein Verweilen im Museum. Darin ähnelt er dem Dekan, aber der geht nicht zu Fuß, der hat einen Chauffeur und einen sogenannten Lehrstuhl. Mahagoni im Stalin-Haus.
Die Zeitung
Union
klatscht jeden Morgen durch den Schlitz in der Tür auf das Linoleum in den Gottschalk-Flur, freitags kommt außerdem die
Wochenpost
und
Für Dich
und, beinahe unverhofft, eines Tages ein Brief vom Ministerium des Innern.
Frau Gottschalks Ausreise ist, wie es heißt: kurzfristig genehmigt worden. Nun muss, nach einem fast akrobatischen Luftsprung und einem Goldiprost, alles sehr schnell und ernsthaft vorangehen.
Ich bin Ihnen so dankbar, Fräulein Eli.
Eli sitzt an der Schreibmaschine. Sie schreibt die Listen, nummeriert die Gegenstände des Umzugsgutes. Fortlaufend, Seite für Seite in alphabetischer Reihenfolge, dazu die jeweiligen Stückzahlen. Vier Durchschläge werden gebraucht.
Frau Gottschalk nimmt alles mit außer der Schreibmaschine,der Chaiselongue und einer Flasche Sekt. Eli muss noch einmal von vorn anfangen. Seite eins.
Jedes Mal muss Eli von vorn anfangen, sonst stimmen die fortlaufenden Nummern und das Alphabet nicht. Eli zerknüllt die vollbeschriebenen Seiten. Eli muss auf den Listen etliche Gegenstände dazwischenschieben. Frau Gottschalk hat die Seife im Nachtschrank vergessen. Seife, Lux, rosa, 7 Stück, die Seifen sind Weihnachtsgeschenke von der Tochter aus dem Westen, davon will sich Frau Gottschalk nicht trennen. Seidenkissen 3, Seife 7 und Seile aus Hanf, 2 mal 10 m, dann immer so weiter bis Wohnzimmerdeckenlampen 4, in fortlaufender Nummerierung.
Liebes Fräulein, wenn Frau Gottschalk so sanft herbeischleicht, hofft Eli, es möge eine vergessene Sache des hinteren Alphabetes sein, dann muss Eli nur die letzten Seiten neu nummerieren und noch einmal tippen. Manchmal macht Eli aus einer Bürste eine Wurzelbürste und aus einem Küchenmesser ein Wurstschneidemesser, aus einer Büchse eine Zuckerbüchse, so spart Eli Stunden, viele Seiten, Durchschlagpapier, Kohlepapier. Der Mensch muss sich zu helfen wissen. Schließlich nummeriert Eli noch eine Menge Sachen unter Zimmer. Zimmerhocker, Zimmerbild. Zimmerbank. Leider wird immer deutlicher, dass Frau Gottschalk noch in der Hitlerzeit lebt. Sie lebt im schmetternden Tag von Potsdam, mit blank geputzten Stiefeln und gestrickten Kinderkleidchen, blauem Himmel und Fahnen, dass es anders gekommen ist im Krieg, das ist für sie, die Familie Gottschalk und die anderen Menschen, eine schlechte Fügung gewesen, eine schwere Zeit mit recht viel Not und Entbehrung, da hat jeder Opfer bringen müssen, Familien und Völker, und man musste eine Ordnung schaffen und an die Kraft des deutschen Volkes glauben und den Glauben nie verlieren. Nie. Frau Gottschalk hat ihren Glauben noch im Kopf und allerlei in Kisten. Frontsoldaten, Waffengattungenaus Zinn. Kinderspielzeug. Weihnachten, war das schön! Der Aufzug mit Marschmusik und Kanonendonner vom Grammophon durch sämtliche offenen Flügeltüren bis zum Erkerzimmer, wo der Tannenbaum glänzte. Sie sagt: Unter Hitler hatten wir einen tüchtigen hilfsbereiten Hauswart unten im Fotoladen, der hat Schnee geschippt und bei Glatteis immer sofort gestreut.
Eli zögert nicht mehr, keine Minute, als wäre eine Rechnung fällig, sie rennt mit den Kisten voll Waffengattungen, Fahnen und SS die Treppe hinunter.
Das Zeug gehört in die Aschentonne.
Frau Gottschalk zuckt die Achseln, schade drum, ein Tuschkasten und Pinsel, das Hakenkreuz wäre unter etwas Farbe verschwunden. Sie zankt nicht mit Eli, sie kichert, weil Eli solche Sachen macht, so schnelle, jugendliche. So ist sie früher auch einmal gewesen. Flink. Eins zwei drei, ins faule Ei. Nun ist es Zeit für den Sekt, fünfzig Jahre alt, gereift, noch von der grünen Hochzeit, noch von vor dem Kriege, dem Ersten, dem Kornblumenkrieg. Artur und Klara erben drei Häuser in der Großbeerenstraße, wie die Thälmann-Straße damals hieß, erben mütterlicherseits die Blechfabrik im Industriegelände, sie haben zwei Töchter, darüber konnte man im Nachhinein froh sein, sie spielten zwar mit Soldaten, aber wurden im nächsten Krieg nicht eingezogen. Sie haben Hauswirtschaft und Buchhaltung gelernt und sind vor 61 in die französische Zone gegangen, wo sie geheiratet haben. Artur ist tot, einfach gestorben, das hat es im Krieg außerdem
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