Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
Vom Netzwerk:
auch noch gegeben. Krankheiten, unheilbar.
    Hierorts bis heute übriggeblieben sind die drei Häuser, viel bewegliche Habe, nunmehr alphabetisch gelistet und inzwischen zur Ausfuhr genehmigt, sowie die grüne Flasche im ausgeräumten Küchenschrank. Die drei Häuser wird ein Verwalter betreuen, das kassierte Mietgeld wird auf ein Sperrkonto eingezahltwerden. Die Wohnraumlenkung behält weiterhin das Sagen über die bewirtschaftete Wohnfläche in allen Häusern. Das Bewegliche soll in drei Tagen von der Spedition abgeholt und nach Rüsselsheim gefahren werden. Die Flasche werden wir jetzt gemeinsam leeren. Frau Gottschalk vollführt in Vorfreude einen kleinen fröhlichen Sprung. Was kostet die Welt, bis zur Neige.
    Man sagt, dass so eine Flasche mit den Jahren immer teurer wird. Das betagte Gesöff steht bereit. Weil die geschliffenen Römer verpackt sind, nehmen wir die Senfgläser vom Zahnputzregal. Eli wickelt den Draht vom Flaschenhals, die braunen Krümel zwischen den Fingern, das ist der Korkenkopf, weich wie Pfefferkuchen, Elis alter Korkenzieher hilft nicht, sie operiert mit Schere und Stricknadel, erst vorsichtig, dann entschlossen. Es ist nicht zu ändern, der Rest des Stöpsels fällt in die Flasche. Statt Schaum steigen Dämpfe, fein, sauer, Eli kneift die Augen zu. Das kann passieren, Korkenkrümel im Glas. Das ist kein Beinbruch, und vielleicht bringt das zusätzlich Glück. Frau Gottschalk kommt mit einem Fetzen Filterpapier. Fünfzig Jahre alter Sekt rinnt durch das Papier in die Gläser. Wir wollen anstoßen, auf das neue Leben in Rüsselsheim. Und auf Eli, besonders auf Eli, und die Zukunft im Allgemeinen, denn ein nächster Tag scheint gewiss. Eli, ich danke Ihnen für Ihre Hilfe jetzt hier zum Schluss.
    Ich habe zu danken, sagt Eli.
    Auf die Zukunft.
    Im Glas funkelt Essig. Gelblich, hochprozentig, man könnte damit saure Gurken einlegen. Das ist also auch nur so eine Legende, das Edle am alten Wein oder Sekt. Die Kostbarkeit der Jahre.
    Eli kippt die Flüssigkeit in die sogenannte Gosse. Frau Gottschalk springt wie ein Kaninchen, kichert. Sie bewundert Eli, weil Eli immer wieder so schnelle Sache macht, jugendlich,entschlossen. In die Gosse mit dem Essig. So ist Frau Gottschalk auch einmal gewesen.
     
    Eli hat wieder einmal viel zu lange geschlafen. Wer hat bestimmt, der Wecker, ein Traum oder einfach das bläulich giftige Blei hinter der Stirn und in den Fingerspitzen? Sie muss sich besinnen. Wo bin ich? Ein freies Feld. Bücherkisten türmen in der Mitte als eine gebirgige Insel, dort, zuoberst, hockt eine Schreibmaschine, schwarz klapprig, startbereit, die Chaiselongue hat Eli neben den Kachelofen geschoben, damit man die Eisfüße wärmen kann, falls der Ofen warm ist, oder man kann die Füße an den kalt gewordenen Kacheln kühlen, falls man nachts aus einem Fieberschlaf aufwacht, glühend, verwirrt. Ludwig, Lulatsch, langer Palmenzweig. Es war ein Traum. Als endlose Kolonne ziehen die Soldaten in zinnerner Ordnung unter Fenstern vorbei, weil Krieg ist. Eli ruft von der vollgerümpelten Loggia, sie ruft gleichzeitig am Straßenrand, gleichzeitig unten und oben. Sie erkennt ihn sofort. Weil Ludwig die anderen Soldaten um einen Kopf überragt. Er ist der Längste. Lulow, langer Palmenzweig, grüne Hoffnung im Opfergebinde, Lulatsch. Er ist der Einzige, der zurückschaut, sein Gesicht, so einen Blick, so ein Schulterzucken hat Eli schon einmal gesehen, erlebt oder überlebt. Oder schon einmal geträumt. Eli muss sich besinnen. Der Raum ist ausgeräumt, der Auszug vollzogen. Es ist kalt.
    Sie kann den blauen Kachelofen umarmen, küssen, wärmen. Wange an Kachel. Eli kniet auf der Liegestatt, sie hört die Stimmen, durch den Schornstein den Wind, wie er im blauen Ofen zwitschert. Es ist ein zwitschernder Wind. Eli muss ihn nicht retten. Er entkommt allein, aus eigener Kraft. Er entfleucht und verwandelt sich. Dann ist der blaue Kachelofen ganz still.
    Eli lauscht den Verwandlungen. Wie sich Ludwig verwandelt. Er wandelt, er treibt sein Wesen in Träumen.
    Er ist zu einem Geist geworden. Dass er nach seiner Flucht in den Westen für eine Stunde zu Besuch in die Tauber-Villa gekommen war, inkognito, aber immerhin leibhaftig, das würde ihr niemand glauben. Er ist dir erschienen, im Traum oder in der Vorstellung, du hast es dir vielleicht gründlich gewünscht. In schönen Farben ausgemalt. Wirklichkeit kann es nicht gewesen sein. Nein. Nie. Oder überm See, am anderen Ufer. Ludwig in seiner

Weitere Kostenlose Bücher