Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
Vom Netzwerk:
dem Mann in Uniform, sie treten unter die Tafeln. Eli legt den Kopf in den Nacken, sie sucht weit oben im Fries, endlich entdeckt sie im Feld des Alkyoneus einen rötlichen Hauch.
    Blut, haben die Götter geblutet?
    Der Mann in der blauen Uniform lächelt. Die nicht, aber vielleicht Vater Uranos, dem haben sie das Gemächt abgehauen, es heißt, aus dieser Blutfontäne habe Gaia die Giganten empfangen, auch den Alkyoneus, und der hatte, bevor es ihm an den Kragen ging, recht schöne Töchter gezeugt, die allerdings in Vögel verwandelt wurden. In Eisvögel allesamt. Er hüstelt, er fängt seine Stimme: Ich habe mal einen gesehen, so einen Uranosenkel, einmal in Tübingen. Eisvögel lassen sich selten blicken.
    Der Mann in der blauen Uniform hätte vielleicht noch einiges mehr berichtet über die Gaia- und Uranoskinder und auch über die Himmelsgötter. Doch das Wandtelefon neben der Eigangstür ruft. Ein Klöppel springt beharrlich gegen eine Glocke. Er eilt, um den Hörer abzunehmen.
    Aufsicht Salzmann. Nur eine Person, Studentin, sagt er in den Apparat und meint gewiss Eli. Eli, die der Aufsicht hinterherschaut, Eli, die sich nun bückt, fast hinkniet, um das kleine Blättchen aufzuheben, roter, lebendiger Ahorn, zart und fein, im großen, geputzten Marmormuseum. Herausgefallen aus Mutter Gaias Füllhorn, das sie aus der Erde streckt für ihre Kinder und vielleicht auch für die sterblichen Menschen. Oder es handelt sich um ein rotes Ahornblättchen aus dem Monbijoupark hinter der Inselbrücke, durch den Professor Salzmann auf schnellen Sohlen herbeigeeilt war zur Spätaufsicht am Pergamonaltar. Er spaziert immer durch den Monbijoupark zum Dienst. Plaudernd hatte er ein wenig heiteren Umgang mit einer jungen Besucherin gepflogen, sogar Tübingen hatte er erwähnt, Römisches Recht. Leipzig, dann Bautzen, sieben Jahre, das hörte man möglicherweise an seiner brüchigen, leicht sächselnden Stimme, doch darüber wollte er sich keinesfalls äußern. Die Kriege sind dieser Tage überholt. Freiheit ist eine Frage der Bezugsgröße, man kann sie für sich ausmessen. Erkommt pünktlich und wahrscheinlich gern zum Dienst. Er empfindet sich in guter Gesellschaft. Vielleicht als ein romantischer Massen-Eremit.
    Die Garderobenfrau reicht Eli den Rucksack und die Lederjacke. Kommen Sie morgen wieder?
    Könnte sein, sagt Eli.
    Da freut sich der Professor.
    Welcher Professor?
    Na unser Zuckerstück, so sagen wir, weil er doch Salzmann heißt. Hören Sie ihm ruhig ein bisschen zu, der weiß eine Menge.
     
    Das Pergamonmuseum ist ein Segen, dazu der Schlafplatz und die große Badewanne, für die Frau Gottschalk einen fabrikneuen Badeofen spendiert hat, einen aus der Zuteilung mit Bezugsschein. Ein Kontingentofen. Eli sowie Regisseur Simon und seine Gefährtin Helga dürfen keinesfalls im Hause laut darüber reden. Wenn das ruchbar wird, wollen alle Mieter einen neuen Ofen haben, also, meine Lieben, baden und schweigen.
    Eli badet spätabends, wenn sie heimkommt aus Berlin, dann hat sich das Wasser über der Restglut noch einmal ein bisschen erwärmt. Wenn sie fertig ist, liegt nur noch Asche auf dem Rost, die schürt sie nun in den Kasten, den trägt sie nun flink in Bademantel und Latschen hinunter zur Aschentonne im Hinterhof. Das ist ihr Beitrag zum Gemeinwohl. Manchmal klappert Eli noch mit der Schreibmaschine. Frau Gottschalk hat nichts dagegen, aber man spürt, dass sie im Herzen wie die Leuna-Wirtin denkt. Nachts ist Schlafenszeit. Das wollen die Gesundheit und die Sparsamkeit und das gute Beispiel. Man wird darauf angesprochen. Bei Ihnen brannte aber gestern wieder lange das elektrische Licht.
    Leider kann Eli anderntags und in der nächsten Zeit nicht nach Berlin ins Pergamonmuseum fahren. Sie vermisst die Anfahrt,das Warten auf dem Bahnsteig, das gemeinsame Frieren, den Weg vorbei am
Gastmahl des Meeres
, sie vermisst die freundliche Garderobenfrau, den aufmerksamen Aufsichtsmenschen. Sie bedauert, dass sie nicht gewagt hatte, ihn auszufragen. Salzmann neben dem Eingang zum Altar, ziemlich einsam, wie eine beiseitegestellte Glocke. Eli hat seine beschädigte, etwas klirrende Stimme im Ohr. Sie hätte gewiss noch manches von ihm erfahren können, über Eisvögel, zum Beispiel, vielleicht sogar über Laokoon. Was meinen Sie, Herr Professor, ist einer der beiden Söhne davongekommen?
    Warum ein Professor für Römisches Recht seine Zeit als Aufsicht im Pergamonmuseum verbringt, das ist auch noch eine Frage, die Eli im Kopf

Weitere Kostenlose Bücher