Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
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Sam Elling füllte das Online-Formular der Partneragentur aus und schwankte zwischen Lachen und Weinen. Einerseits hatte er sich gerade selbst als »humorvoll« beschrieben und die Frage »Wie hoch ist Ihr Machofaktor?« mit acht auf einer Skala von eins bis zehn beantwortet. Andererseits war das Ganze doch ziemlich frustrierend, und niemand, den er kannte, gab weniger als acht Punkte auf einer Männlichkeits-Skala an. Krampfhaft versuchte sich Sam nun fünf Dinge auszudenken, ohne die er nicht leben konnte. Bei dieser Frage probierten es viele auf die witzige Tour und schrieben: Luft, Nahrung, Wasser, ein Dach über dem Kopf plus noch irgendetwas Lustiges. (Sam fand, dass Schweizer Käse eine clevere Ergänzung der Aufzählung gewesen wäre, oder vielleicht Vitamin D, obwohl er, seit er in Seattle lebte, auch ganz gut ohne auskam). Vielleicht konnte er ja den Technikfreak raushängen lassen: Laptop, zweiter Laptop, Tablet-Computer, WLAN -Anschluss, iPhone. Aber dann hielten ihn die Frauen bestimmt für einen Computernerd. Das war er zwar, aber er wollte nicht, dass sie das sofort wussten. Er konnte es auf die sentimentale Tour versuchen: gerahmtes Foto von der Hochzeit der Eltern, Glückspenny des Großvaters, Programmheft seiner Schulaufführung von Grease , bei der er in der Hauptrolle geglänzt hatte, Aufnahmebestätigung am Massachusetts Institute of Technology, erstes Mixtape, das je ein Mädchen für ihn zusammengestellt hatte. Aber das hätte wohl seinem angeblichen Machofaktor widersprochen. Er konnte auch den Laktose-Weg einschlagen: Wieder Schweizer Käse (aus irgendeinem unerfindlichen Grund lechzte er gerade nach Schweizer Käse), Schokoladeneis, Frischkäse, Pizza von Pagliacci (der besten Pizzeria der Stadt) und Double Tall Latte. Das wäre allerdings maßlos übertrieben gewesen. Er konnte gut ohne diese fünf Dinge leben. Ob er es wollte, war eine andere Frage.
Das Problem bestand darin, dass diese ganze Übung ebenfalls fünf Dinge war, nämlich nervig, aufdringlich, gefühlsduselig, peinlich und absolut sinnlos. Er hatte keine Hobbys, weil er rund um die Uhr arbeitete, was wiederum der Grund dafür war, dass er keine Freundin fand. Wenn er nicht rund um die Uhr gearbeitet hätte (oder kein Softwareentwickler gewesen wäre und somit beruflich mit der einen oder anderen Frau zu tun gehabt hätte), hätte er Zeit für Hobbys gehabt, die er hätte aufzählen können. Was dann allerdings nicht nötig gewesen wäre, weil er in diesem Fall nicht aufs Internet angewiesen wäre, um Leute kennenzulernen. Er war zwar ein Computernerd, aber auch schlau, witzig und halbwegs gut aussehend, wie er fand. Er besaß nur schlichtweg keine fünf Hobbys oder fünf originelle Dinge, ohne die er nicht leben konnte, oder fünf interessante Gegenstände auf dem Nachttisch (die ehrliche Antwort hätte gelautet: halbvolles Wasserglas, viertelvolles Wasserglas, leeres Wasserglas, zerknülltes benutztes Kleenex, zerknülltes benutztes Kleenex) oder fünf aufschlussreiche Hoffnungen für die Zukunft (fünfmal hintereinander: nie mehr so einen Schwachsinn ausfüllen zu müssen). Und er interessierte sich auch nicht für die fünf Hobbys anderer Menschen oder die fünf Ansprüche an ihr Leben, ihren Nachttisch oder ihre Zukunft. Er hatte Variationen dieser hirnverbrannten Fragen bereits bei einer anderen Agentur beantwortet, ein paar Verabredungen gehabt und gemerkt, was bei diesem ganzen Blödsinn herauskam. Nämlich Blödsinn. Wenn man sich Frauen aussuchte, die einigermaßen bodenständig wirkten (Bücher, Schreibgerät, Leselampe, Wecker, Handy), bekam man Langweilerinnen. Wenn man Frauen auswählte, die einen exzentrischen Eindruck machten (gelber Regenhut, Polaroidkamera, Limettensprudel, Foto von Gertrude Stein, Plastikfigur des Vorsitzenden Mao), bekam man durchgeknallte Egozentrikerinnen. Wenn man das einzige Mädchen nahm, das gut zu einem zu passen schien (Laptop und ehrlich gesagt sonst nichts, weil das alles ist, was ich brauche), bekam man einen Computerfreak, der dem eigenen Zimmernachbarn aus dem College derart ähnelte, dass man sich fragte, ob er sich in der Zwischenzeit einer nicht sehr überzeugenden Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte, ohne einem davon zu erzählen. Das waren also die drei Optionen: langweilig, durchgeknallt oder Trevor Anderson.
Fünf Dinge, ohne die Sam tatsächlich nicht auskam: Sarkasmus, Spott, Hohn, Verachtung, Zynismus.
Das war natürlich nicht die ganze Wahrheit.
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