Sepp und das Millionending
die Wassermassen das Land und krochen stetig und unaufhaltsam auf den höher gelegenen Zeltplatz der vier Jungen zu. Schon drang die Flut ins Zelt ein. Sepp spürte, wie er nasse Füße bekam, und es nützte ihm auch nichts, daß er sie hochzog: Die Nässe und Kälte verfolgten ihn, und es schien ihm, als begänne jetzt das ganze Zelt in die Ahr hineinzurutschen. Verzweifelt bäumte er sich auf, um sich der Gefahr entgegenzustemmen — und erwachte.
Im ersten Augenblick war er benommen und schlaftrunken. Aber dann erkannte er, daß er alles nur geträumt hatte. In Wirklichkeit war die Ahr zwar angeschwollen — so schloß er aus dem stärkeren Rauschen —, aber von einer Überschwemmung konnte natürlich keine Rede sein. Auch das Zelt stand noch immer auf seinem alten Platz — weit und sicher genug entfernt vom Fluß.
Tatsache war jedoch, daß Sepp nasse Füße hatte: Durch den Daunenschlafsack hindurch war die Nässe gedrungen. Im Dunkeln tastete Sepp den Gummiboden des Zeltes ab und patschte dabei mit der Hand in eine Pfütze unmittelbar am Zelteingang, wo er seine Füße liegen hatte.
Erst dachte er, die Zeltplane sei an einer Stelle undicht geworden; aber als er dann die Taschenlampe anknipste, hatte er gleich die Ursache des Übels gefunden: Der Reißverschluß am Zelteingang war nicht bis unten zugezogen, und deshalb hatte der Wind den Regen hineinpusten können. So ein Mist, so ein damischer! dachte Sepp. Ich selbst habe den Reißverschluß doch zugezogen, bis unten hin! Danach muß jemand aus dem Zelt gekrochen sein und ihn offengelassen haben...
Erst jetzt, als er mit der Taschenlampe neben sich leuchtete, stellte er fest, daß der dicke Willem fehlte.
Natürlich war’s wieder der Willem, so ein Hirsch, so ein blöder! Er hat vor dem Schlafengehen zuviel Milch getrunken, deshalb muß er jetzt wieder hinaus — mit seiner Sextanerblase!
So überlegte Sepp, aber schon gleich darauf kam er zu dem Schluß: Nein, austreten kann er nicht sein. Da hätte er ja längst wieder zurück sein müssen. Das dauert doch nicht so lange, daß sich inzwischen eine solche Regenpfütze im Zelt bilden kann...
Noch einmal ließ Sepp den Schein der Taschenlampe über Willems Lager gleiten und dann auch über das Gepäck und die Kleidungsstücke am Kopfende des Zeltes.
Hm, vollständig angezogen hat er sich auch noch — sogar die Windjacke! Nein, Willem ist bestimmt nicht nur für ein paar Augenblicke aus dem Zelt gegangen, und auch nicht erst vor wenigen Minuten. Er ist todsicher schon vor längerer Zeit verduftet! Aber wohin? Ins Dorf — zur Polizei? Kaum! Da hätte er vorher bestimmt Bescheid gesagt. Oder vielmehr: Wir hatten doch miteinander ausgemacht, zusammen hinzugehen... Doch wohin kann er sonst gegangen sein? Und warum so heimlich, ohne vorher ein Wort davon zu sagen?
Sepp brütete und brütete — und schließlich war er davon überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein. Er erinnerte sich nämlich an das Gespräch, das sie miteinander geführt hatten, als sie vor wenigen Stunden zu viert ins Zelt gekrochen waren und auf das Ende des Gewitters gewartet hatten.
Hat da der dicke Willem nicht behauptet, der Mann in der Jagdhütte komme ihm so bekannt vor? Ja, das hat er gesagt! Eine dunkle Type ist der Kerl bestimmt... Aber wo nur kann Willem ihn schon vorher gesehen haben? Ob ihm das vielleicht inzwischen eingefallen ist? Oder ob er glaubt, es werde ihm vielleicht einfallen, wenn er den Mann noch einmal sieht?
Immer mehr kreisten Sepps Gedanken um diese Vorstellung, und immer stärker wurde in ihm die Vermutung: Willem ist zur Jagdhütte aufgebrochen, um sich den Mann noch mal anzusehen. Aber warum hat er uns dann nicht geweckt und sein Vorhaben erzählt? Wenigstens einem von uns? Vielleicht weil er seiner Sache nicht so sicher ist, weil er befürchtet, er könne sich blamieren? Das könnte ein Grund sein. Aber wenn er schon bei dem Hundewetter allein in der Nacht losmarschiert, dann bestimmt nur, weil er sich von diesem Unternehmen was verspricht. Ein Spaziergang ist das nämlich nicht zur Jagdhütte. Und ungefährlich auch nicht!
Sepp spürte plötzlich eine Leere im Magen, als er daran dachte und ihm mit einem Schlage bewußt wurde: Es ist Gefahr im Verzug! Er kannte doch seinen Freund: wenn der sich was in den Kopf gesetzt hatte, dann führte er es auch durch, ohne Rücksicht auf Verluste, dann konnte er leichtsinnig werden... Ja, Willem kann blindlings in eine Gefahr rennen! dachte Sepp. Und wer weiß,
Weitere Kostenlose Bücher