Sepp und das Millionending
Sepp mehr Zeit herauszuschinden, sich davonzumachen.
„Frag nicht so dumm! Du hast es genauso gut gehört wie ich. Es hörte sich so blechern an...“
„Ach, das meinen Sie! Was soll das schon gewesen sein?“
Drohend ballte der Mann die Faust und hielt sie dem dicken Willem dicht vors Gesicht.
„Heraus damit! Waren es deine Freunde?“
„Meine Freunde sind nicht aus Blech“, hielt ihm der dicke Willem entgegen und grinste den Mann an, obwohl seine Lage gar nicht zum Lachen war. „Und deshalb können sie auch gar nicht blechern klingen.“
„Red keinen Stuß, Kerl! Was war’s?“
„Sehn Sie doch selbst nach! Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß Sie nur ein paar umgekippte Konservendosen finden. Genau vor dem Fenster.“
„Woher weißt du das?“
„Weil ich sie selbst dorthingestellt habe. Vorhin, als ich Sie belauscht habe. Der Laden war nämlich noch geschlossen, und ich wollte doch sehen, ob jemand zu Hause war. Und da draußen keine Leiter stand, habe ich mich mit leeren Büchsen behelfen müssen.“
„Und wer hat sie jetzt umgeworfen?“
„Der Wind natürlich. Genau wie der Wind den Laden hin und her wirft.“
Diese Erklärung klang durchaus einleuchtend. Jedenfalls wirkte der Mann beruhigter, wenngleich er immer noch mißtrauisch blieb.
„Los, setz dich auf deinen Platz zurück“, herrschte er ihn an. „Aber ein bißchen dalli, Freundchen!“
Erst als Willem wieder auf dem Stuhl saß, trat der Mann ans offene Fenster und schaute kurz hinaus. Soweit er es in dem schwachen Lichtschein erkennen konnte, lagen unmittelbar unter dem Fenstersims leere Konservendosen. Etwas Verdächtiges entdeckte er nicht.
Gekidnappt
Der dicke Willem hatte richtig vermutet: Als Sepp an der Jagdhütte angekommen war, hatte er schon bald die beiden Konservenbüchsen gefunden, die Willem unter dem Fenster aufgebaut hatte. Da sie Sepp jedoch immer noch keinen Blick ins Hütteninnere gewährten, hatte er beide Dosen aufeinandergetürmt und sich dann selbst vorsichtig mit dem rechten Fuß darauf gestellt.
Das erstemal war dies geschehen, kurz nachdem er sich an die Hüttenwand herangeschlichen und die ersten Fetzen des Wortwechsels zwischen Willem und dem Mann aufgeschnappt hatte. Auf dieser wackeligen Unterlage war Sepp jedoch nicht länger stehengeblieben, als nötig war, um einen ersten forschenden Blick in den Hüttenraum zu werfen. Dann hatte er sich wieder auf den festen Boden begeben und, dicht neben dem Fenster geduckt, das Gespräch belauscht. Erst zum Schluß war er noch einmal auf die beiden Büchsen gestiegen, um seinem Freund Willem in einem passenden Augenblick ein Zeichen zu geben.
Das war ihm auch gelungen.
Mißlungen war ihm nur der „Abstieg“, der so Hals über Kopf erfolgen mußte, weil der Mann ihn sonst entdeckt hätte. Tatsächlich war Sepp dabei mit den Büchsen umgekippt und auf dem glitschigen Waldboden ausgerutscht. Wenn in diesem Augenblick der Mann aus dem Fenster geschaut hätte, dann wäre ihm der daliegende Junge nicht verborgen geblieben. Durch Willems taktischen Fluchtversuch hatte Sepp jedoch Zeit genug gewonnen, sich eilig aufzuraffen und sich in die Büsche zu schlagen, die keine zehn Schritt weit an den freien Platz um das Blockhaus angrenzten.
Hier hockte er nun, pudelnaß vom Regen und dennoch fiebernd vor Erregung, und wartete erst mal ab. Er hatte schon damit gerechnet, daß der Mann durch die Tür hinaus ins Freie stürmen würde. Aber das geschah nicht.
Dafür beobachtete Sepp bald darauf, wie der Mann von innen die Läden zuzog und mit einer Schnur zusammenband. Aus dem folgenden Klirren entnahm er, daß auch das Fenster geschlossen wurde.
Soll ich wieder zum Platz unterm Fenster zurückkehren und wenigstens versuchen, das Gespräch weiter zu belauschen? überlegte Sepp. Oder ist das Ganze vielleicht nur eine Finte? Er kann den Laden genausogut nur deswegen geschlossen haben, um sich selbst dahinter zu verbergen und mich ungestört zu beobachten, falls ich mich der Hütte wieder nähere... Und wenn er mich auch noch schnappt, dann kann ich Willem so leicht nicht aus der Patsche hauen.
Zehn Minuten lang blieb Sepp im Gebüsch versteckt, ohne sich zu rühren. Das Gewitter hatte sich inzwischen verzogen, nur ein lautloses Wetterleuchten flackerte hin und wieder in der Ferne auf. Es regnete zwar immer noch, allerdings nicht mehr so stark wie während der letzten Stunden. Sepp kümmerte das wenig. Er war ohnehin so triefend naß, daß man ihn
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