September. Fata Morgana
meines
Leidensgenossen
es ist eine große Scheiße fuhr er fort
THE BIG SHIT
und das war nun wirklich genug um von unseren Gartenstühlen aus emporzuschweben bis auf die Haupttreppe vor den weißen Säulen der Public Library wo wir dann wie weiland Dean Martin und Frank Sinatra unser
MESOPOTAMISCHES KRIEGSDUETT
vortrugen
in oratorischer Manier (völlig reimlos aber nicht disharmonisch)
SEYMOUR alles in Ordnung? nichts ist in Ordnung!
MARTIN der Zivilverwalter macht sich zwei Tage vor seinem offiziellen Abgang aus dem Staub
SEYMOUR (hastige Übergabe des gesamten Landes als heißes Eisen in die ausgestreckten nackten Hände der Einheimischen)
MARTIN so musste er nicht befürchten zu den Opfern von 2000 Anschlägen in seinem Abschiedsmonat zu gehören
SEYMOUR was ist schon geschehen?
MARTIN die stärkste Armee der Welt erobert in drei Wochen die Hauptstadt eines Dritte-Welt-Landes vertreibt den blutigen Diktator seine Geheimdienste die Armee Partei und Polizei und wartet auf den Applaus der nicht kommt
SEYMOUR stattdessen zerbricht das Land in die Stücke
MARTIN die die Experten schon vorher kannten
SEYMOUR die meisten Bewohner fühlen sich nicht befreit
MARTIN sondern überfallen und besetzt
SEYMOUR ein Guerilla-Krieg bricht aus
MARTIN auf den man weder gefasst noch vorbereitet ist
SEYMOUR der von der hiesigen Regierung so lange ignoriert und verharmlost wird
MARTIN bis das vergossene Blut und das Versagen der zivilen und militärischen Besetzer zum Himmel (der internationalen Presse) schreit
SEYMOUR aber jetzt gehört der Porzellanladen wirklich UNS und WIR stehen mittendrin
MARTIN mit einem wütenden Kampfhund einem Care-Paket und einer Blindenbinde am Arm
SEYMOUR stolpert nicht über die leeren Benzinkanister!
MARTIN do no bodycounts!
SEYMOUR aber jede Schwundstufe eures Nicht-Denkens kostet Zehntausende das Leben
MARTIN (sehr hegelianisch ausgedrückt mein Lieber)
SEYMOUR aber nur so in etwa – denn hier übergeben wir
MARTIN an die Statistiker Historiker und Richter der Zukunft
SEYMOUR mögen sie es besser wissen als wir
MARTIN die wir zusahen
SEYMOUR und MARTIN Amen!
bist du eingeschlafen? was träumst du? Seymour wirkte belustigt und schien unser Duett gleich nach dem Schlussakkord wieder vergessen zu haben
deshalb musste ich mich gewissermaßen kneifen und sagen: ich war leider nicht so entschieden gegen den Krieg wie Luisa
wie geht es ihr?
seit vier Wochen (gab ich gegen einen größeren Widerstand zu) hatte ich kein Wort mehr von ihr gehört und jetzt wusste ich nicht –
Seymour sah mich auffordernd an und so erklärte ich mit einem Mal dass das was ich nicht wisse die richtige Entscheidung darüber sei ob man nach einem wiederholten Wahlsieg von Bush das Land verlassen solle
ganz Bagdad wird aufatmen wenn du das tust und Rumsfeld wird dir einen Zettel auf den Koffer kleben »Old Europe goes home!« Seymour hob seinen Pappbecher mit Kaffee (während des Kriegsduetts hatten wir uns beide einen solchen besorgt) und fuhr mit einem deutschen Satz fort: Schuster wo ist deine Leisten? dahinten oder etwa nicht? (auf die Public Library deutend) deine Studenten sitzen auf den Treppenstufen und warten auf Erklärungen du kannst mich als Gastredner einladen der erklärt dass die Ölindustrie keinen Wert darauf legt Gefangene zu foltern
Stuart Weingart sollte dort sitzen dachte ich im schon diffusen und wie staubigen Sommerabendlicht konnte meine Jetlag-geschädigte Fantasie ihn aber nicht mehr heraufbeschwören ich hatte mich mit dem Duett verausgabt und alles blieb wie es war nur ich selbst drohte in mir einzusinken als löste etwas meine Muskeln auf und plötzlich fiel mir ein dass sich unter dem schwarzen Hemd das Seymour trug große OP-Narben befinden mussten dennoch trank er normalen Kaffee
die Aussage des Waffenexperten der nach einjähriger Untersuchung im Irak festgestellt habe man sei darauf hereingefallen dass das Saddam-Regime so getan hätte als besitze es Massenvernichtungswaffen fasziniere ihn noch immer und noch mehr dieser Paul Bremer III der sich nun nach einem Jahr verabschiedet habe anscheinend ohne den geringsten Kratzer an seinem missionarischen Selbstbewusstsein zu nehmen als God’s own man gewiss um in Ruhe ein Buch zu schreiben so wie es ja allgemein üblich geworden wäre bei den hohen Funktionsträgern sogar bei dem militärischen Oberbefehlshaber der kaum habe der Krieg begonnen in Rente gegangen sei um in seinen Memoiren
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