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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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bis zu den Vorhallen der Vorhallen und der Halle der Hallen selbst vorzustoßen in das undenkbare Innere des Palastes bis vor die
    riesige goldene Puppe
    des KALIFEN selbst die (in meinem verrückten Kopf) plötzlich aufspringt wie eine Knospe so dass sich ein unfassbarer Blick auf den HERRSCHER auftäte würfe ich mich nicht in den Staub mit zusammengepressten Lidern aber ich höre
    Stimmen ich kann nicht umhin diese Stimmen zu vernehmen die immer lauter und deutlicher werden bis ich sie endlich verstehen muss
    im Inneren der Puppe (heißt es) sei nichts weiter als ein
    gewöhnlicher Amerikaner
    also springe ich auf greife in meine Jackettasche ziehe die Briefrolle heraus mit der kilometerlangen
    KLAGE DES VOLKES
    auf ägyptischem Papyrus
    die ich stumm verlese während wir am
    CHECKPOINT 11
    zwischen den Barrieren aussteigen und grimmige amerikanische Wachsoldaten mit übellaunigen Spürhunden alles beschnuppern was wir so dabeihaben an erster Stelle natürlich unsere Geschlechtsteile und dann den BRIEF unsere Akkreditierung als
    Delegierte der Irakischen Nationalkonferenz
    eingeladen von der wohl nur schwer vorübergehenden Übergangsregierung IGC (Iraqi Governing Council) oder iIGC (interim Iraqi Governing Council) nebst der hoch provisorischen CPA (Coalition Provisional Authority – Children-Playing-Adults-Behörde – Can’t-Produce-Anything-Körperschaft)
    daneben legen wir auch unsere faltbaren Kalaschnikows einige Mini-Handgranaten die Akkus unserer Mobiltelefone die von Bestechungsgeldern prall gefüllten Börsen den Stachel in unserem Hintern und die in schwarz-rot-grün glänzendes Bonbonpapier eingewickelten Hoden für die sich die Hunde so sehr interessierten auf den Tisch aber nicht
    das Chamäleon in unserem Kopf das nicht weiß ob wir tatsächlich hier sein wollen oder sollen oder nicht Ali du siehst mich (oder eine schlechte Idee von mir) als einen von sieben älteren grauen Herren nach einem unschön aber fachkundig durchgeführten Abtastvorgang am hyperbolischen Aufschwung eines der baumstammdicken Hängebrückenkabel stehen und durch einen übermannshohen Zaun hinabschauen auf den
    morgengrauen Tigris
    in dem wir vor so vielen Jahren wie kleine muntere Frösche sprangen noch heute habe ich den Geruch des Wassers von damals in der Nase als wäre ich nie zu dem mürrischen Schabbut geworden der tief unter der Oberfläche in seinem trüben Untertanen-Leben in ständig wachsender Furcht vor dem Angelhaken immer näher am sumpfigen Grund dahintrudelte ändert
    es sich jetzt?
    wo wir oben auf der Brücke stehen mit im Morgenwind flatternden Krawatten nach der Leibesvisitation unserer Schuppenpanzer
    einige Imame (sagt man) hätten Fatwas erlassen gegen den Verzehrvon Tigris-Fischen da sie zu viele Leichen angefressen hätten beenden wir also unser Schlamm-Leben fühlen wir uns
    delegiert
    sehen wir vertrauensvoll hinüber zum Karkh-Ufer zu dieser großen grünen Beule der Macht die der Fluss mit einer kühnen Darmschlingenwindung formt auch wenn er nach Abwässern stinkt ist die Luft um sieben Uhr morgens hier oben noch frisch
    ein weiterer Wachturm ragt vor uns auf als wir langsam weiterfahren zwei Soldaten schauen gemeinsam mit den Läufen ihrer Maschinenpistolen verschlafen auf uns herab ich überlege ob ich hier schon aussteigen und meine Papyrus-Rollen-Rede für den unbekannten Amerikaner verlesen soll also noch bevor ich einen Fuß auf die von einem Kranz viertel- bis halbzerbombter Ministerien eingefasste grüne Beule oder Hernie setze halten wir diesen Gedanken fest die Erektion der Macht als Nabelbruch des Volkes Ali du warst der beste Operateur den ich in den letzten Jahren gesehen habe (dein Wappentier in meinem Kopf schafft es nicht sich rote/weiße Streifen und weiße Sternchen auf blauem Grund zuzulegen)
    also bleibt mir gar nichts übrig als mich vor einer der zahllosen Sperren die unser Land vor uns
    schützen
    auf die Kühlerhaube der Limousine der Delegierten zu springen und auszubrechen in die
    Declaration of Tarik!
    die ich dem Amerikaner in der Puppe des Kalifen stellvertretend für sein ganzes Volk verlesen muss das aus irgendeinem Grund 1000 Tote leichter verkraftet als wir 100 000 Märtyrer (seit ER in der Todeszelle sitzt sind wir empfindlich geworden) was wollte ich sagen ach ja:
     
    Amerikaner!
    Ihr habt die Waffen, deretwegen ihr uns angegriffen habt, nicht gefunden.
    Ihr brachtet die Terroristen, vor denen ihr euer Volk schützen wolltet,
    scharenweise in unser

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