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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Mädchenträumen ich sage mir dass Du vielleicht schon nach Wasiriya gezogen bist wenn der Muezzin ruft habe ich oft das Gefühl noch keine Stunde geschlafen zu haben es fallen
    keine Bomben mehr aber doch immer wieder Schüsse in dieser oder jenen Nacht meine stillen geduldigen Cousinen und ich träumen drehen werfen uns schweißnass herum wir springen immer wieder in den gleichen Quadraten wirf das Steinchen springe mache keinen Fehler
     
    wahid
    ithnan
    thalatha
    arbaa
     
    so versuchen wir immer die Gleichen zu bleiben
    in der Familie
    aber
    alles ändert sich das ganze Land stülpt sich um hüpfe schneller auf einem Bein
    am Morgen ist
    schon wieder eine Woche vergangen und nur scheinbar hat sich nichts verändert wir schlafen weiter während wir arbeiten oder uns mit Nichtstun quälen bis zum Mittagessen erneut
    backen wir
    erneut schlagen die blauen Gasflammen durch den Rost erneut zieht Sara den Teig über ihren gespreizten Fingern aus erneut
    gibt es einen Brief in einem Umschlag beschrieben von Hind ich trage ihn zwei Stunden lang wie eine zärtliche Hand auf meiner Brust dann öffne ich ihn und die Schlange
    beißt in mein Herz
     
    … um es kurz zu machen: Mein Onkel hat lange mit mir gesprochen. Mein Gewissen ebenfalls. Deine Familie ist größtenteils sunnitisch. Aber wie Du weißt, will ich den Onkel bitten, mich zu unterstützen, ein Glaubenslehrer der Schia zu werden. Er wird mir hoffentlich auch dabei helfen, wenn ich mir treu bleibe. Deshalb sollten wir uns nicht mehr sehen. Ich wünsche Dir alles Gute auf Deinem Weg.
    Vertraue in Gott den Allmächtigen, lobe und preise Ihn, in dessen Händen Alles liegt!
    Dein
    Nabil

 
    Tarik
     
    Du denkst
    ICH kann es nicht sein der den BRIEF DES KALIFEN in der Innentasche eines leichten hellgrauen Jacketts trägt (das Gewicht dieses ungeheuerlichen Schreibens risse mich auch augenblicklich in den Staub) wie denn käme ICH hinaus aus den Schrecken Verwerfungen alltäglichen Demütigungen und Beschießungen der ROTEN ZONE des Blutes des Feuers jenes recht beträchtlichen Teils unseres Landes in dem die Waffen der Koalitionstruppen entsichert zu tragen sind vom Hafen Sindbads also durch das Marschland der Schilfhütten und der wilden Frauen über die Lager der Moschee-Besetzer von Nadschaf die Zelte der Flagellanten von Kerbela die Ruinen und Massengräber Babylons das Häusermeer des Bagdads der gewöhnlichen Sterblichen und ungewöhnlich Sterbenden bis hinauf in den Norden über dessen Berge sie die Ölfässer in die Türkei rollen kurzum allüberall in unserem Chamäleonen-Land in dem ein jeder ROT sieht ganz egal ob er grün oder schwarz denkt oder vielmehr zu denken versucht bevor er nach seiner Kalaschnikow greift und beginnt zu
    argumentieren
    mir jedoch gelingt es gelassen zu bleiben und Paradiese jenseits der Wut zu entdecken und ich sage
    Ali mein Freund dein Tier hat Ruhe verdient ich nehme es mit in die
    GREEN ZONE
    auch wenn es gar nicht ICH sein kann (oder ich sein will) der da auf einem perlgrau bezogenen Limousinensitz dahinschwebt dein Tier Ali reist gut verborgen in meinem Kopf mitten hinein in das leuchtende von Stacheldrahtverhauen Panzersperren Betonstelen Wachtürmen MG-Nestern gegürtete Smaragdherz des Landes
    hinüber
    auf der wiederhergestellten Brücke des 14. Juli (imaginäre Luftballons mit den geblähten Gesichtszügen von Qasim dem Vertreiber der Engländer steigen hinauf bis in die Strahlemann-Sphäre von Tony Blair dessen Moskitonetze wenig vor seinen Bomben schützten) auf der wir an den sichersten Ort Bagdads gelangen in die
    INTERNATIONAL ZONE
    gleich am Eingang dürfen wir lesen
    WAIT OR
    YOU WILL BE SHOT !
    solche Aussichten ermuntern mich stets und während die Limousine bremst stockt ihr Motor leise aufwinselt und erstirbt und alle auf den grauen Sitzen ergeben vor sich hin nicken die wie ich
    oder jener mich Darstellende vielmehr
    verborgene Chamäleons in den Köpfen tragen und vielleicht ebenso wenig mit dem wirklichen Durchkommen gerechnet haben obgleich sie allesamt einen Brief des Kalifen in ihren grauen Anzügen bewahren (von acht Anzügen ist nur einer dunkelblau und den trägt der Fahrer) kann ich mir einige wahnsinnige Augenblicke lang vorstellen über die Stacheldrahtwälle der Brücke über die Wüsten des Glacis über die Gebirge der Außenmauern die Fluchten der Vorhöfe durch das Labyrinth der Vorpaläste über die Treppen die zu den Treppen führen zwischen den Säulen die nur die Sockel der Säulen sind

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